Wer trägt die Last des Staatsvertrages?

■ Lafontaine versucht, die Verantwortung abzuschieben

Seit drei Tagen inszeniert die Bonner SPD-Fraktion eine Krise um ihren Kanzlerkandidaten. Statt - wie von Lafontaine gewünscht - Opposition gegen Kohls Staatsvertrag zu machen, soll Konsens im Einheitsprozeß demonstriert werden. Der Spagat zwischen Kandidat und Fraktion ist auch nach dem Vogel-Kohl Gespräch nicht beendet. Die Partei wird sich entscheiden müssen, ob sie sich zumindestens zur symbolischen Ablehnung des Vertrages durchringt, oder ihren Kandidaten demontiert.

Oskar Lafontaine hat den Bonner JournalistInnen eine Aufgabe gestellt. Seit Sonntag mühen sie sich redlich, diese auch zu lösen: Welche Botschaft hat der SPD-Kanzlerkandidat via 'Spiegel'-Interview vom vergangenen Montag der Öffentlichkeit gebracht und was will er damit erreichen? „Im Bundestag besteht keine Notwendigkeit, eine Entscheidung mitzutragen, die Massenarbeitslosigkeit zur Folge hat“, hatte Lafontaine über das mögliche zukünftige Verhalten der SPD zum Staatsvertrag gesagt. Und: Im Bundesrat hingegen könne die SPD-Mehrheit den Staatsvertrag passieren lassen. Fragen nach seiner Kanzlerkandidatur beantwortete er zweideutig. Auf eine Interpretation der Lafontaineschen Worte zum Verhältnis von SPD und Staatsvertrag und seiner Kanzlerkandidatur hatten sich die Bonner DeuterInnen aus Profession auch am Dienstagmorgen noch nicht geeinigt offenkundig nicht, wenn man die Grüppchen von Korrespondenten beobachtete, die sich nach einem Pressefrühstück beim SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel gebildet hatten, um über das zu sprechen, was Lafontaine denn nun wirklich gesagt hat. Zuckten die einen gelangweilt die Schultern, gestikulierten die anderen heftig mit den Armen. „Alter Käse, viel Wind um nichts, er hat doch kaum mehr erzählt als sonst auch“, meinten manche. „Natürlich wollte er so nochmal ein paar dicke Scheite nachgelegen, damit hat er alles auf die Spitze getrieben, jetzt gehts in der SPD erst richtig los“, bekamen sie entgegengehalten.

Die SPD selbst scheint letztere Deutung zu teilen - und strengt sich deutlich an, dies zu verbergen. Nur um einen Beschluß des Parteivorstandes zum Staatsvertrag von letzter Woche auch öffentlich zu „bekräftigen“, hatte man wenige Stunden nach Erscheinen des 'Spiegel'-Interviews am Montag eilends eine Pressekonferenz einberufen. Außerdem wurden gleich zu Beginn, auf einem eigenen Blatt, strikt und ungefragt, Zeitungsberichte dementiert, wonach Vogel infolge der Erpressungsmanöver seines Vize aus Saarbrücken mit dem eigenen Rücktritt gedroht habe. Am Dienstag morgen versuchte der SPD-Chef vor der Presse auch noch einmal höchstpersönlich den Eindruck zu vermitteln, als stünde es zumindest ganz passabel um seine Partei.

„Oskar“, wie Oskar Lafontaine auch von Vogel familiär genannt wird, bekam vom SPD-Chef fast nur Rückendeckung: Sein Interview sei im Zusammenhang zu lesen, beschied Vogel. In welchem, erklärte er allerdings nicht. Oskar liege voll auf der Linie des Vorstandsbeschlusses; Gegen den Verdacht, daß Oskar im 'Spiegel‘ etwas anderes behauptet habe als noch letzte Woche, müsse er Oskar ausdrücklich in Schutz nehmen, dies sei nicht Oskars Art, Politik zu machen. Die inzwischen heftige Kritik aus den Reihen der SPD an ihrem Kanzlerkandidaten tat Vogel kurz ab - allerdings nicht, ohne deutlich zu machen, daß er sie zumindest versteht: Es sprächen Argumente für Oskars Position, aber auch welche dagegen. Sie sei eben nicht die ganze Wahrheit. Und: Für manches im Interview Gesagte habe er Verständnis „auf dem Hintergrund des 22. April“ (dem Tag des Attentats auf Lafontaine).

„Ein Sturm im Wasserglas“, so hatte Vogel am Montag die Aufregung um Lafontaine genannt. Vogel könnte Recht haben jedenfalls dann, wenn man sich vergleichend vorstellt, welche Zerreißproben der SPD nun, wo die Bundesregierung ihr entgegenkommt noch bevorstehen. Eine Hinweis: Schon vor dem Gespräch mit Kohl hatte Vogel zufrieden „erste Schritte“ der Regierung in Richtung SPD konstatiert. Nur wenige Stunden zuvor allerdings hatte Reinhard Klimmt, engster Lafontaine -Vertrauter gewarnt: Wenn die SPD-Bundestagsfraktion den Vertrag nicht ablehne, werde es eine „äußerst kritische Situation geben“.

Ferdos Forudastan