Vor dem Arbeitsgericht...

■ Wer versteht denn schon die armen NichtraucherInnen?

Vor jedem Arbeitsgericht würden wir recht bekommen: Wir, das ist die kleine, aber schützenswerte Minderheit von drei nichtrauchenden RedakteurInnen in der Berlin-Redaktion der taz, tagtäglich einer erdrückenden Mehrheit von RaucherInnen ausgesetzt. Wie sich das für einen modernen Betrieb wie die taz gehört, arbeiten wir, ausgestattet mit allermodernster und teurer Technik, fossilen Schreibtischen und lebensgefährlichen Stühlen in einem Großraumbüro, seit der Maueröffnung wieder im Herzen der Stadt, am Checkpoint mit seinem nervenzerrenden Verkehrschaos. Wie gesagt, vor jedem Arbeitsgericht... Da wir uns aber ja für unsere ausgewiese links-moderne Gesinnung weit unter Wert an die taz verkaufen und ein Kollektiv sind, wäre ein solcher Schritt nur als Rückfall in den kleinbürgerlichen Radikalismus zu bewerten. Und außerdem brauchen wir so einen Schritt gar nicht zu erwägen, denn schließlich herrscht in der Redaktion bis 18 Uhr Rauchverbot, einvernehmlich beschlossen. Theoretisch zumindest.

Da wir gerade in der taz jeden Tag erfahren, wie weit Theorie und Praxis auseinanderliegen - von wegen Anspruch und was dann am nächsten Tag in der Zeitung steht -, warum sollte es hier anders sein. Leidvolle Praxis: EineR der KollegInnen zündet sich eine Zigarette an, weil er oder sie gerade so im Streß ist oder einfach nicht daran denkt. Was dann folgt, gleicht einer chemischen Kettenreaktion. Kollege X greift nun auch ganz beiläufig zum Glimmstengel, Kollegin Y bitte X um Feuer, und Kollege Z sucht lautstark nach Marlboros. Binnen kürzester Zeit ist der Raum rauchgeschwängert. Der größte Suchtbolzen ist, wie könnte es anders sein, unser Öko-Redakteur, der bei der Recherche keinen Aufwand scheut, andere Umweltsauereien nachzuweisen. Fast zeitgleich stellen die drei NichtraucherInnen ihre Verständigung auf Blickkontakt um: Schon wieder! Kollegin A äußert ihr Mißfallen und erinnert an die Absprache. Alle geloben Besserung, aber bitte doch diese eine zu Ende... Eine Stunde später wiederholt sich genau die gleiche Prozedur. Diesmal ist Kollege B dran, der lautstark und unmißverständlich alle anschreit. Nur diese eine zu Ende... Zum Schluß droht Kollegin C an, nach Hause zu gehen, mit resigniertem Unterton schon die Vergeblichkeit des Unterfangens signalisierend.

Und so geht es Tag für Tag... Auch der Trick mit Lüften funktioniert meistens nicht, denn der Verkehrslärm in der Kochstraße macht eine Verständigung selbst im vierten Stock sogar bei geschlossenen Fenstern oft schwierig. Es bleibt bei wirkungslosen Appellen und der undankbaren Rolle der ewigen Meckerer, zudem das befreiende Gefühl, sich selber bereits vor Jahren von der Sucht befreit zu haben. Wofür? Um sich moralisch und charakterlich erhaben über die süchtigen KollegInnen zu fühlen. Um dem Ammenmärchen der obermilitanten Exraucher noch zu begegnen: Schließlich wohnt man seit der Abstinenz mit Rauchern zusammen.

Kordula Doerfler