: MÜSSIGGÄNGER
Der Sinnstiftungstotalverweigerer ■ H E L D E N D E R A R B E I T
Helden der Arbeit traditioneller Art sind einer kruden Mischung aus Mechanismus und Metaphysik verhaftet. Ihre Ehrung verdienen sie sich durch beispielhafte Quoten in der Produktion. Sie schaffen, einerseits zum Wohl der Planerfüllung funktional, andererseits wie Gottvater kreativ aus sich heraus mit Kraft. Selten, allzu selten wird ein Mensch dafür geehrt, daß er sich dem gigantischen Ausstoß von Waren versagt und im Gegenteil entweder zerstört oder sich dem Nichtstun hingibt. Im hochindustriellen Kapitalismus nun spielt das Moment der Zerstörung inzwischen eine nicht zu unterschätzende Rolle - der Warenumlauf wäre nicht gewährleistet, würden die Dinge mit Haltbarkeitsdatum Ewigkeit produziert. In manchen Fabriken sind Leute abgestellt, die nichts anderes tun, als „Überproduktion“ zu vernichten. Ein solcher Held der Arbeit, der so noch immer an der Gewinnmaximierung beteiligt wäre, soll heute nicht vorgestellt werden. Friedrich S. enthält sich vielmehr dem Produktionsprozeß des Schaffens und Zerstörens seit Jahren. Er pflegt den Müßiggang. Dennoch ist sein Leben keineswegs von Sinnverlust oder gar Langeweile geprägt, wie einige Anekdoten belegen sollen.
„Also, eine Zeitlang lebten wir auf dem Schloß eines befreundeten Adligen. Dessen Vater befand sich auf einer archäologischen Expedition in Südamerika, und so konnten wir uns ohne Einschränkungen unseren Neigungen hingeben. Es war eine schöne Zeit, an die ich mich auch jetzt noch gerne erinnere. Täglich nahmen wir irgendwelche Drogen zu uns, zeitweise waren wir wochenlang auf LSD. Da saßen wir zum Beispiel eines Abends zu viert vor dem Kamin. Drei von uns befanden sich auf dem Trip, der vierte saß nüchtern dabei. Ich erspare dir die Halluzinationen. Auf jeden Fall waren wir wohl alle etwas zu gierig gewesen und hatten eine Überdosis erwischt. Wir schmolzen - wortwörtlich - dahin, bewegten uns als Kugelblitze durch den Raum und unterhielten uns angeregt über die wirklich wichtigen Fragen. Das dauerte an, bis ein anderer Typ völlig besoffen zu unserer Runde stieß. Am nächsten Tag sagte uns der Freund, der nüchtern geblieben war, daß wir den ganzen Abend über so still gewesen wären, keiner hätte ein Wort gesagt. Wir drei guckten uns an, und dann gab jeder die Gespräche wieder, die wir geführt hatten. Die Versionen stimmten überein. Wir hatten uns die Nacht zuvor unterhalten, ohne ein Wort zu wechseln. Soviel zu Telepathie.
Ein anderes Mal... Ich muß vorausschicken, daß mein Freund und jugendlicher Schloßherr ein großer Waffennarr war und ist. Er besitzt einen Waffenschein für eine Smith & Wesson, aber die ist nichts in Vergleich zu dem, was er sonst noch hat. Maschinenpistole, Karabiner, Schrotgewehre, Pistolen und Revolver, Dynamitstangen und Schwarzpulver - das ganze Zeug. Eines Abends also feierten wir mit Freunden aus der Umgebung ein riesiges Fest. Irgendwann waren - wie man das so kennt - die Drogenvorräte aufgebraucht, und nun mußte etwas geschehen. Ich verkündete lauthals, daß ich noch fahren könne, und es wurde entschieden, daß ich den Hausdealer besuchen sollte. Gesagt, getan. Ich schwinge mich also in diesen großen Audi, auf dem Kofferraum einen dieser gigantischen Cannabisblatt-Aufkleber, wie du sie früher häufiger sehen konntest, und fuhr los.
Das war dann schon so ein mittelgroßer Einkauf, ja. Halt das, was gebraucht wurde, in ausreichenden Mengen. Als ich wieder zurückfuhr, dämmerte es mir inmitten von leichten Halluzinationen, daß jemand mich erinnert hatte zu tanken. Gut, die Erinnerung kam zu spät. Die Tankanzeigekontrolleuchte blinkte hübsch, und der Wagen rollte aus. Schön, ich geh‘ also zum Kofferraum, um einen Kanister zu holen, mache die Klappe auf - und vor mir liegt des Freundes komplettes Waffenarsenal, alles da. Vielleicht sollte ich jetzt einfügen, daß sich das abspielte, als sich der Herbst bleiern über Deutschland senkte und nervöse Polizisten bei der Terroristenjagd gelegentlich recht fix schossen, wenn sie mal wieder auf der Autobahn einen Kontrollpunkt eingerichtet hatten. Also, ich bin dann losmarschiert, fand auch eine Tankstelle, kam zurück zum Wagen, füllte Benzin ein und fuhr wieder los. Ohne Führerschein, betrunken, auf Droge, neben mir ein Berg halluzinogener Aufputschmittel und im Kofferrraum ein Waffenlager - so brauste ich durch die Nacht, den wartenden Freunden entgegen. Und dann sah ich sie schon, an einer Kreuzung vor mir, die übliche Straßensperre. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, aber damals kontrollierten sie in ihrer Terroristen-Paranoia wirklich andauernd und überall. Nun winkten sie also da vor mir die Autofahrer an den Straßenrand. Ich sah schon die Schlagzeile: 'Terrorist und Drogenhändler widersetzte sich der Festnahme: Tot‘ leuchtend vor meinem inneren Auge aufscheinen. Es ging dann aber alles ganz undramatisch ab. Die Polizei hatte bereits zehn Wagen angehalten und kontrollierte diese gerade. Mich haben sie einfach vorbeigewunken.
Um das Schloß herum war ein Graben mit Wasser, konntest du nur via Zugbrücke rüber, und gleich dahinter erstreckte sich dann erst mal kilometerweit Wald. In der Nähe gab es einen Baggersee. Die Nazis hatten da irgendwelche Stollen in die Hänge reingetrieben und die Amerikaner hatten die nach dem Krieg mit Beton zugegossen. Wir sind dann eines Nachts bei Vollmond dahin - wieder auf LSD, klar - und hatten die Vision von V2-Raketen, die irgendwo da unter der Erde auf Abschußrampen startbereit lägen. Eine ganze Nacht lang haben wir mit Spitzhacken und Schaufeln versucht, in so einen Stollen einzudringen. Gegen Morgen hatten wir auch schon tatsächlich einen etwa 15 cm breiten Spalt über der Betonsperre freibekommen, konnten in den dahinterliegenden Stollen blicken und den Hauch der Geschichte verspüren. Dann hatten wir keine Lust mehr und ließen den ganzen Abhang runterkommen. Was für eine Verschwendung von Kräften, nicht wahr. Völlig sinnlos. Also, das war schon eine schöne Zeit. In dem Schloß gab es auch einen Rittersaal mit Rüstungen usw. Da hielten wir Gerichtssitzungen ab. Im Winter fuhren wir mit Pferdeschlitten und Fackeln nachts raus. Im Sommer gingen wir uns im nahe gelegenen Moor suhlen. Irgendwann kam Daddy zurück - und enterbte Sohnemann. Der hatte nämlich zwischenzeitlich den Familiensafe geknackt und war mit 45.000 DM in die USA auf Urlaub gegangen. Außerdem hatte er einen Raum, den der Urgroßvater mit uralten echten ägyptischen Geräten eingerichtet hatte, geplündert. Naja, nicht richtig geplündert. Er hatte nur einen Leuchter genommen und den an einen Antiquitätenhändler für 4.000 DM verkauft. Als Daddy von seiner Expedition zurückkehrte und einmal in einen Auktionskatalog schaute, sah er dort zu seiner großen Überraschung die Abbildung eines ägyptischen Leuchters, wie er ihn auch oben in dem ägyptischen Raum zu besitzen vermeinte. Er ging nachschauen - der Leuchter war weg. In dem Katalog war der Wert des Dings auf 2,5 Millionen angesetzt. Wegen solcher Geschichten hat er dann seinen Sohn enterbt. So geht's.“
Heutzutage beschäftigt sich Friedrich S. als gelegentlicher Berater einer Firma, die obskure elektrische Geräte zur Stimulation anfertigt. Schwache Ströme ziehen sich über den Körper und reizen unter anderem die erogenen Zonen.
Anvisierter Kundenstamm sei das Netz von Bordellbetreibern. Noch immer also produziert, erschafft etc. Friedrich S. in heldischer Arbeit nichts. Es würde deshalb nicht in diesen Rahmen passen, mehr von den Aktivitäten dieser Firma zu berichten. Zu diesen Helden der Arbeit ein andermal mehr.
R. Stoert
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