Im Moment kann man nur ins Leere umschulen

■ Arbeitsmarkt in Ost-Berlin: Noch kann niemand sagen, wo, außer im Dienstleistungssektor, der erhoffte Boom einsetzen wird

Ost-Berlin. Die Angst vor einer Arbeitslosigkeit geht um in Ost-Berlin. Die Freude über die bald klimpernde Westmark wird überdeckt von der Sorge, ob auch genügend davon im eigenen Portemonnaie sein wird. Es herrscht Ratlosigkeit über die sozialen Folgen des Kopfsprungs in die Marktwirtschaft auch bei denen, die von Berufs wegen damit zu tun haben: den Arbeitsämtern und den Personaldirektoren der Betriebe. Mit wievielen Arbeitslosen ist wann zu rechnen, wie kann die Notlage mit welchen Sozialleistungen und Krisenstrategien, von Umschulungsmaßnahmen bis Kurzarbeit, abgefedert werden?

Zum ersten Arbeitsmarktgespräch in Ost-Berlin lud nun das Arbeitsamt 27 Direktoren aus ausgewählten Betrieben ein. Thema der Konferenz war die Ostberliner Arbeitsmarktsituation und die dringende Notwendigkeit von Umschulungsmaßnahmen. Um es vorwegzunehmen, viel Neues haben die Direktoren vom Leiter des Berliner Arbeitsamtes, Werner Wollschlaeger, nicht gehört. Momentan sind 12.443 Berliner als arbeitslos registriert, demgegenüber stehen aber nur 3.676 offene Stellen. Die Arbeitsmarktlage ist im Moment noch relativ günstig, obwohl wöchentlich mehr als 600 neue Arbeitslose hinzukommen. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ab 2.Juli wird eine Entlassungswelle über die Stadt rauschen, viele Betriebe werden stillgelegt oder nach westlichem Muster rationalisiert werden. Das Arbeitsamt prognostiziert bis Ende des Jahres mindestens 20.000 Arbeitslose (siehe taz v. 23.5.). Das diese Zahl optimistisch eingefärbt ist, behauptete der Leiter des Berliner Personalbüros vom renommierten Werkzeugmaschinenkombinat „7.Oktober“. Die Zahl wird sehr viel höher sein, ein Beispiel ist das eigene Unternehmen. In seinem Werk, erzählt er, arbeiten rund 2.500 Kollegen. Der Auftragsvorlauf reicht noch für rund sieben Monate. Spätestens zum Herbst müssen knapp die Hälfte der Mitarbeiter eine neue Arbeit in dem bald zu entflechtenden Kombinat gefunden haben. Für mindestens 750 Beschäftigte sieht die Lage aber düster aus. „Wir werden sie nicht halten können“, sagt er, und so wie beim „7.Oktober“ sieht die Lage in vielen Betrieben aus.

Die Zauberworte in den Ostberliner Betrieben heißen Umschulung und Weiterqualifizierung. Auf dem Arbeitsmarktgespräch wirkt das Rezept des Arbeitsamtes wie eine Droge. Beruhigend, aber perspektivlos. Auch der aus Paderborn angereiste Diplompsychologe des „InBit -Institutes“, der mit der Hoffnung auf dicke Umschulungsaufträge Optimismus verbreitet, kann die Zukunftssorgen nicht mildern. „Umschulung ja, aber wohin?“ fragt eine Personalleiterin, und das ist in der Tat die entscheidende Frage. Denn unklar ist allen Anwesenden, in welche Richtung sich die DDR-Industrie wird entwickeln können. Umschulung also ins Leere?

Boomen, da sind sich die Anwesenden einig, wird nur der gesamte Dienstleistungsbereich. Der Personaldirektor der Berliner Verkehrsbetriebe kann als einziger Erfolgsmeldungen verbreiten. In den ersten Monaten dieses Jahres wurden schon mehr Personen neu eingestellt als im ganzen vorausgegangenen Jahr. Der Trend wird anhalten, nach dem 2. Juli regelrecht explodieren. Das Hauptproblem der BVB ist aber ab sofort, wer die Ausbildungs- und Umschulungskosten des zukünftigen Eigenbetriebes übernehmen wird. „Die Kommune muß zahlen“, sagt er und spricht damit den Betriebsleitern aus dem Herzen.

Denn bislang ist es noch unklar, wer die Kosten übernehmen soll. Die Betriebe wollen oder können nicht, und die Arbeitsämter finanzieren eine Umschulung im Moment erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen, die Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist. Die Kosten einer präventiven Umschulung oder Weiterqualifizierung können die Arbeitsämter erst dann übernehmen, wenn das bundesrepublikanische Arbeitsförderungsgesetz auch in der DDR gilt. Und da gibt es noch Irritationen, denn bisher ist nur die Rede von einer „schrittweisen“ Einführung. Aber was das konkret heißt, weiß noch keiner.

Anita Kugler