Das unzeitige Aus des Boris Becker

Historische Novität bei den French Open: Zum ersten Mal in einem Grand Slam-Turnier schieden die beiden Topgesetzten in der ersten Runde aus  ■  Aus Paris Ralf Stutzki

Die knapp 16.000 Zuschauer im Roland-Garros-Stadion hatten so etwas geahnt. Seine Hoheit, Prinz Albert von Monaco, war aus völlig unerklärlichen Gründen zu einem Erstrundenspiel der French Open erschienen. Das verhieß nichts Gutes. Sage und schreibe drei Mal stand „Berti“ während des Spiels Becker - Ivanisevic in seiner Loge auf und warf traurige Blicke hinüber zu den billigeren Zuschauerrängen, so als wollte er sagen: „Seht her, ich bin's, der Prinz, und ich werd‘ nicht lange hierbleiben. Ich bin nur gekommen, um einen von uns wieder mit nach Hause zu nehmen.“

Die Unrast des Thronfolgers war berechtigt. Sein Untertan Boris Becker blieb in dem stark umkämpften Match gegen den 18jährigen Goran Ivanisevic (7:5, 4:6, 5:7, 2:6) letztendlich chancenlos. Der Jugoslawe dominierte das gesamte Spiel von der Grundlinie aus und mit hervorragend plazierten Aufschlägen. Beinahe alle Versuche des Deutschen, an das Netz vorzurücken, beantwortete Goran der Unaussprechliche mit einem müden Lächeln und punktenden Passierschlägen. „Bum-Bum-Boris“ knallten diesmal die Bälle nur so um die Ohren, vielleicht der entscheidende Grund, warum man in den Zuschauerrängen kein einziges der sonst so gut verständlichen Selbstgespräche Beckers mitbekam.

Die Analyse des Leimeners nach dem Spiel fiel denn auch treffend aus. „Das war ein sehr komisches Match“, resümierte Becker, der seine Zukunft nach der Niederlage in Paris offensichtlich aggressiv verplanen will. „Ich muß mich jetzt in die Ecke setzen und überlegen, was ich mache.“ Was konkret er damit meint, ist derzeit noch unklar. Aber es kratzt ja ohnehin keinen, außer vielleicht seinen Manager. Ion Tiriac, von seinen Freunden, die er nicht kennt, liebevoll „die Robbe“ genannt, plagten schon während des ersten Satzes sorgenvolle Hungergelüste. So schlich er dann auch beim Stand von 6:5 für Becker in die Spielerkantine, um seine gereizte Magenschleimhaut mit französischem Käse und Baguette (Preis: 45 Franc) zu besänftigen. Er zahlte mit einer 1000-Franc-Note, kleiner hatte er es gerade nicht.

Derweil tobten die Zuschauer auf der Tribüne über ihm. Ivanisevic, in der Weltrangliste zur Zeit die Nummer 43, verhalf den Organisatoren der French Open zu einem Eintrag in die Geschichtsbücher. Nachdem einige Stunden zuvor der Spanier Sergi Bruguera den an Nummer eins gesetzten Stefan Edberg glatt in drei Sätzen zurück nach London geschickt hatte, vollendete Ivanisevic durch den Sieg über den an Nummer zwei gesetzten Becker die Sensation. Nie zuvor in einem Grand Slam-Turnier verloren die an eins und zwei gesetzten Spieler in der ersten Runde.

Der Jubel in Paris über das Noch-nie-da-Gewesene ist lautstark, allerdings wohl auch sehr kurzlebig. Denn mit Becker und Edberg aus dem Rennen und ohne die gar nicht erst angetretenen Lendl und McEnroe sind dem Turnier, zumindest, was die Männer angeht, allzufrüh die großen Stars ausgegangen. Sicher - Agassi ist noch da. Nur: Was tun, wenn der wieder keine Lust auf Tennis hat? Bleibt vielleicht noch Chang und die Hoffnung, daß der Monaco-Albert nicht bei seinem Spiel erscheint.