Lockerung polnischer Gitter

Haftbedingungen werden langsam menschlicher / Gefangene bekommen Einspruchsmöglichkeit / Korruption und Häftlingsmißhandlungen dauern dennoch an / Arbeitslosigkeit bedroht Resozialisierung  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Von mir aus kann alles so bleiben, wie es ist“, meint Kazimierz T., „ich bin zufrieden.“ Kazimierz‘ Mitgefangene, die gerade an einem Bilderrahmen basteln, nicken zustimmend. Auf die Frage, was man denn im Warschauer Rakowiecka -Gefängnis verbessern könnte, meinen sie nur, sie wären lieber in einem Vier-Mann-Zimmer untergebracht statt zu acht zu liegen wie bislang.

Doch ansonsten haben sie keine Klagen: Seit einiger Zeit haben sie einen Schwarz-weiß-Fernseher, in den meisten Zellen befindet sich ein Aquarium. Alle drei Männer, die in der kleinen Werkstatt Bilderrahmen ausbessern, hatten in diesem Jahr mehrtägigen Freigang bei ihren Familien.

Kazimierz‘ Familie wohnt im 300 Kilometer entfernten Krakau. Das Geld für die Bahnfahrkarte entnimmt er seinem Lohn. Er arbeitet in einer dem Knast angeschlossenen Druckerei und kann über drei Viertel seines Verdienstes frei verfügen.

Die Humanisierung des Strafvollzugs in polnischen Knästen ist nicht ganz neu: Sie geht großteils ins Jahr 1980 zurück, als es in den Haftanstalten Streiks und Proteste gab. In den 70er Jahren, berichten die Männer in der Rakowieckastraße, seien die Haftbedingungen am schlimmsten gewesen. Sie wissen, wovon sie sprechen: Die meisten von ihnen sind Rückfalltäter und verbüßten über zehnjährige Haftstrafen.

„In den letzten vierzig Jahren war der Strafvollzug in Polen eine Funktion der Ideologie“, erläutert Pawel Moczydlowski, seit wenigen Wochen Chef der zentralen Gefängnisverwaltung im Justizministerium und damit der Verantwortliche für alle polnischen Gefängnisse.

„Da man davon ausging, daß Kriminalität mit der Veränderung der Eigentumsverhältnisse verschwinden müsse, betrachtete man jeden Straftäter als politischen Gegner. Das führte zu einer äußerst repressiven Gesetzgebung, die bei den Häftlingen jedes Unrechtsgefühl erstickte. Die Haft wurde als reine Repression empfunden, und entsprechend war das Ergebnis: Die Gefängnisse wurden so erst zu wahren Kriminalitätsherden.“

Seit Herbst letzten Jahres sind nach Protesten der Gefangenen bestimmte Strafen wie Essensentzug, „hartes Lager“ oder sechsmonatige Isolationshaft abgeschafft. Jede Entscheidung der Gefängnisverwaltung kann der Gefangene darüberhinaus vor dem Haftrichter anfechten.

Auch das Platzproblem hat sich ein wenig gebessert. Jeder Häftling hat Anrecht auf mindestens drei Quadratmeter Wohnraum. Erst seit der Amnestie vom vergangenen Herbst kann diese Norm endlich eingehalten werden.

Vor der Amnestie des Jahres 1984, als auf 70.000 Haftplätze 120.000 Gefangene gekommen waren, hattte man sich mit einem Trick beholfen. Statt in Quadratmetern hatte man in Kubikmetern gerechnet, und „wenn eine Zelle nicht breit genug war, dann war sie eben hoch, aber die Rechnung stimmte“, so Moczydlowski.

Die hygienischen Bedingungen lassen allerdings doch noch sehr zu wünschen übrig: Vor wenigen Monaten streikten Gefangene, die in Südpolen in Bergwerken arbeiten, um einmal pro Woche ein Bad nehmen zu dürfen. Und in der Rakowieckastraße wird es erst nach einem von Gefangenen durchgeführten Umbau auf jeder Etage Duschen geben.

Die neuen Verbesserungen haben auch bei den Gefangenen einen Bewußtseinswandel bewirkt. So arbeitete die Belegschaft der Druckerei einige Samstage lang freiwillig und überwies den Verdienst an ein Kinderheim in der Nachbarschaft. Immer mehr Gefangene nutzen ihre Haftzeit inzwischen, um sich weiterzubilden, das Abitur nachzuholen oder ein Studium zu beginnen.

Mißhandlungen und Korruption dauern an

Doch das Hauptproblem, so Moczydlowski, sei noch lange nicht gelöst: Mißhandlungen und Korruption in den Haftanstalten. In der Rakowieckastraße wurden mehrere Wärter entlassen, die sich „unethischen Verhaltens“ schuldig gemacht hatten, wie der Gefängnisdirektor Zbigniew Dyzio Korruption und Vetternwirtschaft vorsichtig umschreibt. In manchen Gefängnissen, so Moczydlowski, seien die Direktoren durch ihre Machenschaften so sehr in die Hand der Häftlinge geraten, daß diese dem Direktor ihre Bedingungen diktierten. In Koszalin habe es jüngst eine Knastrevolte gegeben, um eine Amnestie zu erzwingen. Doch Modczydlowski habe im Fernsehen erklärt, eine Amnestie werde es nicht geben und und den Gefängnisdirektor von Koszalin wegen Unfähigkeit abgesetzt.

In der Rakowieckastraße war im vergangenen Jahr kurz gestreikt worden, als die Inflation die Verdienste der Gefangenen zu entwerten drohte. Der Konflikt wurde durch eine leichte Lohnerhöhung bereinigt. Seither werden Auseinandersetzungen im Rahmen der „Abteilungsversammlungen“ zwischen Direktor und Häftlingen besprochen. Einem älteren Knacki, der schon fast zehn Jahre einsitzt und noch sechs weitere vor sich hat, ist das zuviel Freiheit: „Hier muß mehr Disziplin her“, kritisiert er Dyzio, „alles zu lasch hier.“

Einen Strafvollzug, der die Resozialisierung an die Stelle des Rachegedankens setzen würde, gibt es in Polen freilich noch nicht. Die polnische Gesellschaft sei Straftätern gegenüber viel härter eingestellt als die meisten westlichen Gesellschaften, räumt Moczydlowski ein. Dennoch werde die Resozialisierung langfristig auch in Polen angestrebt. Eine Vorstufe dazu sei das „rechtstaatliche Gefängnis“, in dem Gefangene nicht mehr mit Gewalt oder Erpressung etwas erzwingen, Wärter und Leiter die Insassen aber auch nicht mißbrauchen können.

Der Weg dahin ist noch weit. Für die, die wegen „unethischen Verhaltens“ entlassen werden, kann zur Zeit kaum Ersatz gefunden werden: „Der Arbeitsmarkt funktioniert noch nicht.“

Doch die Arbeitslosigkeit, auf die Moczydlowski hofft, um unter Anwärtern für Stellen aussuchen zu können, hat einen anderen Haken: Bislang wurden die Gefangenen nach Verbüßung ihrer Haft unter den Bedingungen des Arbeitskräftemangels automatisch weitervermittelt. Nun müssen sie sich selbst Arbeit suchen. „Unser Bewährungshelfersystem steckt noch in den Kinderschuhen“, gibt Dyzio zu, „und für die Gefangenen, die hier zum Teil seit Jahrzehnten sitzen, kommt das völlig unerwartet.“