Wenn die Karajan-Wagen kommen!

Ahrenshoop, das „Worpswede der DDR“, hat Angst vor dem Ansturm der West-Touristen / Vom NeuenForum in die SPD - der neue Bürgermeister will den sanften Tourismus / Das „Schalck-Golodkowski-Haus“ gehört noch niemandem  ■  Von der Waterkant R. Rosenthal

Eine riesige Ferienvilla ist es geworden, geplant war ein ganz normales Einfamilienhaus. Tollkühn, mit welcher Frechheit „KoKo“ (Kommerzielle Koordinierung, SED-Firma unter dem Managment von Schalck-Golodkowski) das Objekt samt Fahrerhaus mitten ins Dorf, einen Steinwurf von der desolaten HO-Kaufhalle mit dem neuen „Tchibo„-Schild entfernt, gebaut hat.

Jetzt bewohnt die frühere „Verwalterin“ plus Kind allein das riesige Haus mit Solarium und Zehn-Personen-Sauna im Keller. Das Ministerium für Außenhandel reklamiert das Objekt für sich. Ingrid Schreyer vom NeuenForum Ahrenshoop ist empört. „Unser Vorschlag ist, die beiden Gebäude zur gesellschaftlichen Nutzung der Gemeinde zu übergeben, schließlich wurden die fast drei Millionen Valutamark Baukosten dem Volkseigentum entnommen“, sagt sie. „Mit diesem Haus könnten wir im Dorf eine dringend notwendige Arztpraxis einrichten.“

Das NeueForum in der idyllischen Gemeinde an der Ostsee hat eine Liste von ehemaligen SED-Gästehäusern, „Bonzenvillen“ und Stasi-Objekten zusammengestellt und an den Ministerrat der DDR geschickt.

Inzwischen hat die Gemeinde zwei kleinere Häuser zu Wohnzwecken zurückerhalten. Für andere Objekte tritt neuerdings eine Berliner „GmbH Bürovermietung“ unter dem früheren KoKo-Mitarbeiter Pioch als „Rechtsträger“ auf. Weitere SED- und Stasi-Immobilien will der neue Ministerrat für sich nutzen. Damit verstößt er gegen einen Beschluß des Rates des Bezirkes Rostock über die Rückführung der Gästehäuser in kommunales Eigentum.

Allein an der Ostseeküste wurden bisher 44 Stasi-Häuser, sieben Ministerratsobjekte und sechs Außenhandelsvillen enttarnt. Um an die begehrten Immobilien heranzukommen, hatten die genannten Institutionen in der Vergangenheit Vorbesitzer und Gemeinderäte vorzugsweise mit Autos bestochen. Die erworbenen Häuser wurden aufwendig modernisiert und Leuten wie Krenz, Schalck, Beil, Sölle oder Götting (CDU) samt Familien zur Verfügung gestellt.

Im Volksmund heißt der „Weg zum Hohen Ufer“ im Zentrum Ahrenshoops „Millionengäßchen“.

Aber auch im „Armenviertel“ nebenan stehen stattliche Häuser. Der Schriftsteller Rolf Schneider kaufte sich im letzten Jahr eins davon. Seit Jahrzehnten gilt Ahrenshoop als „Worpswede der DDR“. Viele Künstler verbringen hier ihren Urlaub, andere ließen sich auf dem „Fischland“ zwischen Ostsee und Bodden nieder. Maler waren begeistert von den klaren Licht- und Farbverhältnissen, Dichter liebten die Ruhe und die Ferne vom Massentourismus.

„Alles das ist kaputtgemacht worden!“ Imme Gast vom Kulturbund betreut die Urlaubsgäste. „Von Mai bis September bricht hier das Gemeindeleben zusammen, dann kümmert sich jeder nur um seine eigenen Gäste“, beschreibt sie die Ahrenshooper Saison und: „Die Sommergäste aus den Villenvierteln spielen im kulturellen und kommunalen Leben kaum eine Rolle.“

Ihr Mann Dieter ist Mitglied im Jagdverein: „Der Kronprinz hat ganz klein gejagt, Hermann Göring schon ein bißchen größer und Walter Ulbricht hat hier die Staatsjagd eingeführt, protziger ging's nimmer.“

„Unsere Jagdgesetze waren ja im Grunde nicht schlecht. Oberster Grundsatz: die Jagd gehört dem Volke, kontrollierter Abschuß, Bewertung der Trophäen, Waffen unter Verschluß. Aber was die Bonzen daraus gemacht haben... Hier im Revier war das der Bezirksparteichef Schürer.“

Was früher verboten war, ist jetzt möglich, Dieter Gast hat sich sein eigenes Jagdgewehr gekauft.

In den Jagdverein hat man ihn vor Jahren aufgenommen, damit es nicht hieß, es seien nur SED-Mitglieder drin. Der Hobbyjäger hat Angst vor dem hereinbrechenden Kapital: „Da werden in Zukunft unsere besten Hirsche versteigert und dann kommen die Geschäftsleute aus Bayern und schießen uns die besten Stücke vor der Flinte weg.“ So hat sich Dieter Gast die Wiedervereinigung nicht vorgestellt. „Unser Vereinsvorsitzender war zwar auch in der Partei, aber er ist ein wirklich ausgezeichneter Jäger und hegt bei jedem Wetter das Wild. Kein Wessi wird das für uns machen.“

Den Ahrenshoopern machen inzwischen nicht nur einheimische „Millionäre“ zu schaffen. In den Gemeindeversammlungen werden alle möglichen Befürchtungen vor den West-Touris laut: „Wenn die mit ihren Karajan-Wagen kommen, schmeißen sie uns das ganze schöne Dorf mit Müll zu“, rief laut eine Ahrenshooperin und ein anderer Einwohner: „Die kommen hier an wie der weiße Mann mit den Glasperlen zu den Indianern, zücken die dicken Geldbörsen und fragen, was kostet dein Haus.“

Offiziell dürfen Gemeindegrundstücke zur Zeit nur an Eigenheimbauer verkauft werden. Glücklich, wer sich in der Vergangenheit mit „Häuslebauen“ aus allem raushielt. Der Preis liegt bei etwa einer Ostmark pro Quadratmeter. Unter der Hand werden pro Quadratmeter schon 330 Westmark geboten.

Der neue Bürgermeister Hans-Jürgen Wunderlich weiß nichts davon. „Wir haben jetzt eine neue Ortssatzung“, sagt er. „Mit ihr werden wir eine Kommunalpolitik zuerst für unsere Bürger machen.“ H. J. Wunderlich arbeitete in den letzten Jahren als Schlosser. Bei den Demonstrationen und Kundgebungen des vergangenen Herbstes hat er als Vertreter des NeuenForums in der Kreisstadt Ribnitz-Damgarten Reden gehalten und für den Ausgleich der Extreme gesorgt. Im Januar trat er der SPD bei, „um politische Verantwortung bei der kommunalen Regierung zu übernehmen“.

„In unserer Tausend-Seelen-Gemeinde haben wir zwei Dutzend Aktive, ein paar Interessierte und der ganze Rest sagt 'Macht mal‘!“ Aus den Kommunalwahlen ging im Mai die SPD als Sieger hervor. H.J.Wunderlich hat Utopien von einem „sanften“ Tourismus im Kopf, bei 2.500 ständigen Urlaubern pro Saisontag und etwa hunderttausend durchreisenden Sommergästen: „Zuerst wohnen wir hier und wir wollen uns hier wohlfühlen. Für diese Saison können wir vielleicht ein paar Weichen stellen und das Schlimmste verhüten, die Vertreter einer Großhotelkette haben wir weggeschickt.“ Den Nationalpark Fischland-Darß will er schützen, den Autoverkehr und das Parkproblem bewältigen; die Abfallbeseitigung muß klappen. Viel mehr ist in dieser Saison noch nicht drin. Die Gemeinde hat zuwenig Geld für strukturelle Maßnahmen, Fahrradwege, Parkplätze, Kläranlagen und Müllentsorgung. „Zweitens lassen wir uns von unabhängigen Gruppen und Gutachtern einen Flächennutzungsplan und einen Bebauungsplan anfertigen.“ Der Bürgermeister schwärmt vom landschaftstypischen Bauen, vom dezentralen Tourismus und von der Förderung des kleinen privaten Gaststätten- und Pensionsgewerbes. „Unser Reichtum ist die Natur und die Ruhe“, sagt er. „Aber hundert Tage Schonfrist habe ich nicht, schon jetzt rollen die Probleme durchs Dorf. Autokarawans, Wohnmobile - und mit dem Fahrrad zur Arbeit ist der reinste Selbstmord.“ Die Gemeinde hat inzwischen Kontakt aufgenommen zum Schleswig-Holsteinischen Ostseedorf Hohwacht und nach Worpswede. Von den dortigen Kommunalpolitikern will Bürgermeister Wunderlich einiges lernen, „auch, wie man es nicht machen soll“, sagt er.