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Zwei Jahre Kieler „Ankündigungsregierung“

Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten rufen nach aktiver Opposition und entdecken den „Reiz der Langsamkeit“  ■  Aus Kiel Jürgen Oetting

Es herrscht Ruhe im Land zwischen den Meeren. Nach genau zwei Jahren Engholmscher Regierungspolitik ist von Aufbruchstimmung in Schleswig-Holstein nichts mehr zu spüren. Selbst in der sozialdemokratischen Regierungspartei mehren sich die Stimmen der Kritik, die Basis mahnt Eile beim Umbau der Landespolitik an. Doch Ministerpräsident Björn Engholm will das Reformtempo weiter drosseln. Nach einer Klausurtagung in einem südschleswigschen Dorf verkündete der Regierungschef ganz ernsthaft, Kabinett, Fraktion und Partei hätten sich aufgemacht, „den Reiz der Langsamkeit zu entdecken“.

Über die Geschwindigkeitsbegrenzung für Reformpolitik ist sich Engholm mit den anderen beiden Mitgliedern der schleswig-holsteinischen SPD-Führungstroika einig. Weder Landesvorsitzender Gerd Walter noch Fraktionsvorsitzender Gert Börnsen traten bislang als Antreiber der Regierungstätigkeit auf. Und weil es kaum etwas zu bremsen gibt, macht die CDU-Opposition im Kieler Landeshaus eine denkbar schlechte Figur. Der christdemokratische Fraktionsvorsitzende Heiko Hoffmann quält sich mehr mit den gegen ihn gerichteten innerparteilichen Intrigen, als daß er eine nur einigermaßen plausible Alternative zur Politk der sozialdemokratischen Regierung formulieren würde.

Die CDU-Opposition agiert so behäbig, daß das für die SPD geradezu gefährlich wird. Schließlich beraubt sie die Enthaltsamkeit der Opposition auch der Möglichkeit, über die parlamentarische Debatte wenigstens den Anschein einer stringenten Reformpolitik zu erzeugen. So ist es nur konsequent, wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Börnsen fordert, die CDU müsse im Landtag langsam in die Puschen kommen und „konzeptionelle Alternativen zur Reformpolitik“ vorlegen.

Wirkliche Oppositionspolitik wird derzeit nur außerparlamentarisch gemacht, von den beiden Parteien, die den Einzug in den Landtag 1988 nicht schafften.

Der Vorstandssprecher der - seit wenigen Tagen explizit realpolitischen - Grünen im Lande, Nico Sönnichsen, erklärte zum zweiten Jahrestag des Regierungswechsels: „Die Suche nach dem Konsens mit der Wirtschaft und der CDU zieht sich wie ein roter Faden durch die Regierungspolitik. Was soll von Politikern in Sachen Atomausstieg, Meeresrettung, Erneuerung des Bildungswesens und regionalwirtschaftlicher Belebung erwartet werden, die die Langsamkeit zum Programm erhoben haben?“ Und der FDP-Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki bezeichnete das Kieler SPD-Kabinett als „Ankündigungs-Regierung“, deren bisherige Bilanz aus einer Reihe nicht eingehaltener Versprechen bestehe.

Kubickis Einschätzung entspricht den Tatsachen nicht ganz, denn die SPD-Regierungspolitik begann vielversprechend: Der Extremisten-Erlaß wurde aufgehoben, die Beteiligung des Landes am Nato-Manöver „Wintex“ verhindert, mit dem Schulgesetz wurde die Gesamtschule zur Regelschule, mit dem Hochschulgesetz die Alma Mater auch für Landeskinder ohne Abitur geöffnet. Die erste Frauenministerin der Republik, Gisela Böhrk, wurde mit Initiativ- und Vetorecht im Kabinett ausgestattet. Doch irgendwann ließ der Reformeifer nach, strukturell hat sich im nördlichsten Bundesland nichts geändert.

Die großen Hoffnungsträger in der Regierung verlieren an Glanz. Björn Engholm ist immer noch einer der beliebtesten SPD-Politiker in der Bundesrepublik, im eigenen Lande aber konnte er seinen Ruhm nicht mehren. Zu oft gerierte er sich als inoffizieller Präsident eines visionären Nordstaates oder als Lübecker Oberhanseat. An der strukturschwachen Westküste des Landes hat er sich schon richtig unbeliebt gemacht, weil in seinen Strategien oft Rostock und Schwerin, fast nie aber Heide (Kreis Dithmarschen) und Husum (Kreis Nordfriesland) vorkommen. Und auch bei den KielerInnen wächst die Skepsis gegenüber dem Ministerpräsidenten, ungestraft kann an der Förde keiner die ungeliebte Konkurrenzstadt Lübeck als künftige Hauptstadt eines Nordstaates ins Gespräch bringen.

Der parteilose Umweltminister Berndt Heydemann gilt längst als größte Schwachstelle der Regierung. Von dem ausgewiesenen Ökologen war erwartet worden, daß er kompromißlos seine Sache macht und eher den Job hinschmeißt, als sich „übergeordneten“ Interessen zu beugen. Das Gegenteil ist eingetreten - selbstgerecht und eitel sitzt der Biologieprofessor auf seinem Ministersessel. Für Umwelt und Naturschutzverbände ist er längst zum politischen Gegner geworden, der Halbheiten als Erfolge vermarktet. Insbesondere die Abfallentsorgung gleitet ihm aus den Fingern. Im Kabinett konnte er sich mit seiner vollständigen Ablehnung der Müllverbrennung nicht durchsetzen, andererseits hat er nicht genügend Flächen für die von ihm favorisierte Deponierung ausweisen können.

Sein Kollege im Sozial- und Energieministerium, Günther Jansen, ist weder selbstgerecht noch eitel, doch als Atom -Ausstiegsminister wird er langsam zur tragischen Figur. Nach vollmundigen Stillegungsankündigungen des Wahlkampfes sowie halbherzigen Abschaltungen und Auseinandersetzungen mit Kraftwerksbetreibern und Bundesumweltminister Klaus Töpfer herrscht jetzt Funkstille.

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