piwik no script img

Schwierzina traute Guillaume

Ost-Berliner Oberbürgermeister war ein Trauzeuge des Topagenten Guillaume Bürgermeister und Spion lernten sich beim Berliner „Komitee der Kämpfer für den Frieden“ kennen  ■  Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) - Tino Schwierzina, erster frei gewählter Bürgermeister von Ost-Berlin, war ein Trauzeuge des Topagenten Günter Guillaume. Das bestätigte Schwierzina gestern auf Anfrage der taz im Roten Rathaus. Er habe Günter Guillaume, der in den siebziger Jahren als Referent von Willy Brandt in Bonn arbeitete und nach seiner Enttarnung als MfS-Agent für den Rücktritt des ersten sozialdemokratischen Kanzlers sorgte, „gegen Ende der vierziger Jahre in Ost-Berlin kennengelernt“. An das genaue Datum der Hochzeit „kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagte Schwierzina der taz. Der Bürgermeister und der Spion Jahrgang 1927 und 1925 - lernten sich Schwierzina zufolge beim Berliner „Komitee der Kämpfer für den Frieden“ kennen. Aus dieser Organisation entwickelte sich wenig später der kommunistisch orientierte „Weltfriedensrat“, der 1950 in Warschau aus der Taufe gehoben wurde.

Die Heirat zwischen Günter und Christel Margarete Ingeborg Guillaume, geborene Boom, fand am 12.Mai 1951 in Leisnig bei Leipzig statt. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Guillaume als Fotograf beim Berliner Schulbuchverlag „Volk und Wissen“. Schon damals war er für den FDGB als Agitator in West-Berlin unterwegs, fuhr einmal sogar nach Bayern, um Streikende zu unterstützen. Schwierzina studierte damals nach eigenen Angaben Jura an der Humboldt-Universität. Das Agenten -Ehepaar Guillaume wurde 1956 in den Westen geschleust. Beide leben heute getrennt in Berlin. Schwierzina: „Ich war schon oft in meinem Leben Trauzeuge. Die beiden habe ich schnell aus den Augen verloren.“

Von einer Abgeordneten des Bündnisses '90, die von der Trauzeugen-Story wußte, war Schwierzina gestern vormittag aufgefordert worden, davon während seiner Kandidatenvorstellung in der Stadtverordnetenversammlung zu berichten. Schwierzina lehnte das ab: „Ich hab‘ mir nichts vorzuwerfen!“ Das Thema kam vor der Abstimmung nicht öffentlich zur Sprache - Schwierzina wurde mit 74 von 134 gültigen Stimmen gewählt.

Schwierzina, der gestern seinen 63. Geburtstag feierte, war am Tag seiner Wahl noch sichtlich gestreßt. Am Dienstag war er mit dem Plan gescheitert, drei SenatorInnen aus West -Berlin in den Magistrat zu importieren. Selbst seine eigene Fraktion war nicht bereit, seinen Vorschlag vollständig mitzutragen; die CDU hatte damit gedroht, die Koalition platzen zu lassen. Die Wahl des Magistrats ging gestern ohne Probleme über die Bühne: Alle KandidatInnen - fünf aus der CDU, neun aus der SPD - kamen im ersten Wahlgang durch. Der Westberliner Ex-Wirtschaftssenator Elmar Pieroth wurde zum Stadtrat für Wirtschaft gewählt. Er bekam mit 73 Stimmen das schlechteste Ergebnis. Zu einer ursprünglich vorgesehenen Beteiligung von Sebastian Pflugbeil (Bündnis '90) und Tatjana Böhm (Unabhängiger Frauenverband) in der Stadtregierung kam es nicht. Die PDS, zweitstärkste Fraktion im Roten Rathaus, hatte ihren Fraktionschef Dr. Peter Zotl gegen Schwierzina ins Rennen geschickt. Das Ex-SED-Mitglied hatte jedoch keine Chance. Siehe auch Bericht im Lokalteil

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen