Kinder-Integration gefährdet

■ Eltern besuchten kompromißbereiten Bildungssenator Scherf

Wer ist hier behindert? Foto: Sabine Heddinga

Etwa 30 Eltern und Pädagogen sowie ein gutes Dutzend Grundschulkinder rückten gestern um 15 Uhr Bildungssenator Scherf im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bude. Anlaß des „Besuches“ war die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für das Kooperationsprojekt mit behinderten Kindern in der Grundschule Augsburgerstraße. Entzündet hatte sich der Konflikt, als am 14. Mai von der Schulbehörde zu den bereits vier behinderten Kindern ein weiteres schwer -mehrfachbehindertes Kind zugewiesen wurde. Aus Protest gegen diese Maßnahme, die völlig an den Köpfen von Eltern und Lehrern vorbeigegangen war, werden die vier restlichen behinderten Kinder schon fast drei Wochen nicht mehr in die Schule geschickt. Eine weitere Neuzuweisung konnte aufgrund des Protestes verhindert werden. Die Befürchtung der Eltern: durch die Mehrbelastung könnte das ganze Projekt gekippt werden. „Schon jetzt “, so Gisela Oehlmann, „ist die Grundschullehrerin durch die zwei mehrfachbehinderten Kinder sehr stark gefordert. Alles darüber hinaus wäre überforderung“.

Gestern, bei der eineinhalb-stündigen Diskussion in einem gerammelt vollen Sitzungsraum des Bildungssenators, herrschte emotionsgeladenene Stimmung. Die „Besucher“ machten ihrem Ärger Luft: „Wir brauchen für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern abgesicherte Rahmenbedingungen, die auch vom pädagogischen Standpunkt aus sinnvoll sind“. Ein Vater formulierte es noch etwas agressiver: „Wir sind gekommen, weil wir von Ihnen eine klare politische Entscheidung wollen und es satthaben, uns von Behörde zu Behörde schicken zu lassen“. Das Verhältnis von 18 gesunden zu vier behinderten Kindern, das sich in der Vergangenheit bewährt habe, solle endlich festgeschrieben werden. Die klare politische Entscheidung blieb Henning Scherf den Anwesenden zwar schuldig, doch signalisierte er zukünftige Zusammenarbeit mit Pädagogen und Eltern bei der Ausarbeitung eines Gesamtkonzeptes. Dabei wolle er sich dafür einsetzen, daß die bereits bestehenden Kooperationsklassen abgesichert werden, vorhandene Integrationsstandorte erhalten bleiben und mit allem nötigen ausgestattet werden.

Doch worum geht es im einzelnen? Seit August 1989 werden in der 1. Klasse der Schule an der Augsburger Straße vier Kinder wie es im Fachjargon heißt „kooperativ beschult“. In der Praxis bedeutet das, sie werden fünf Stunden in der Woche gemeinsam mit gesunden Kindern in den Fächern Sachkunde und Deutsch unterrichtet. Der restliche Unterricht der vier behinderten Kinder findet gesondert statt. Die ursprüngliche Forderung der Eltern ging jedoch darüber hinaus.

Ziel war eigentlich die Errichtung einer Integrationsklasse im Bezirk Bremen Mitte. Dabei sollte den betroffenen Kindern „so wie das für alle anderen Kinder selbstverständlich ist“, die Integation im Stadtteil und Wohnbereich sowie der Kontakt zu Schulkameraden aus der Nachbarschaft ermöglicht werden. Was in diesem Zusammenhang pädagogisch sinnvoll ist, hat sich auch in ähnlichen Projekten gezeigt. Nach Meinung von Almut Buhr, Schulleiterin in Bremen Nord, hat die Praxis ganz klar gezeigt, daß die Klassenfrequenz 4:18 für alle dei sinnvollste Lösung darstellt: „In meiner inzwischen siebenjährigen Berufserfahrung hat sich immer wieder gezeigt, daß nur bei solch einem Verhältnis die gesteckten Lernziele erreicht werden können. Alle anderen Konstellationen ergeben keinen Sinn und laufen auf gemeinsame Sandkastenspiele hinaus“.

bz