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■ Im „ehemaligen Berliner Künstlerviertel“ ('Quick‘) Kreuzberg scheint die Welt nicht mehr in Ordnung / Neulich im Künstlerviertel

„Warum gibt's da immer Gewalt, am 1.Mai?“ Endart (Oranienstr. 36): „Das weiß ich auch nicht, das ist so primitiv, du!„

Begonnen hatte alles in der Walpurgisnacht, als mir vier Hexen mit ihren Staubsaugern vorm „Franzclub“ den Weg wiesen: „Die Wessis kiffen in der Schönhauser 5“. Und da saßen sie dann auch. Auf den ersten Blick erkennbar: Hannoveraner, vollautonom. Die waren gekommen, um das feministische Bananen- und Melonenprojekt am Heinrichplatz zu stürmen, das Anton (Oranienstraße 170) zu scherben, den teuersten Rotwurstladen der Oranienstraße zu plündern? Nein, Würstchen würden sie selber verkaufen, morgen auf'm Görli. Wenn die Bullen nicht...

Der Wasserwerfer ist

nicht die Feuerwehr

Ganze Einheiten der Kiezmiliz hatten sich nach Zypern, Leipzig oder an den Scharmützelsee zurückgezogen, andere hingegen reisten extra aus New York an. „Etwas langweilig war es diesmal.“ Bis zum nächsten Jahr. See you next year. Die Testbildtester unterbrachen ihre Europatournee und schauten zu beim „Scheißspiel, wat soll ich dazu noch sagen“.

Tatsächlich, die Leute mußten zum Steinewerfen getragen werden, aber nach dem dritten Wasserwerfereinsatz lief es ganz gut. Große Freude bei den Bildmedien, als sie endlich ihr brennendes Auto bekamen.

Zur Ästhetik des Primitiven

Der Ostpunk im Westkrawall war begeistert. Nach der Festnahme wurde er umgehend abgeschoben, „den Stein ham se nicht gefunden, aber dem ein‘ Bullen hab‘ ich noch 20 Mark geklaut...“ Das hat doch mal mehr Stil als diese ewigen Dialoge zwischen betrunkenen Bierflaschenschmeißern, Ökopaxen und vom Bürgersteig geprügelten Radfahrern. Warten wir ab, wann am Kollwitzplatz die erste Westwanne ihr Blaulicht verliert. Und Haschraucher von Heroindealern werden die auch irgendwann mal unterscheiden können. Das Ostsubjekt damit nur Objekt der Westsubjekte, noch in der Verneinung seines Ost-Seins?

Ein eher dynamisierendes Moment im Prozeß der Ästhetisierung von Gewalt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung des konkreten Westberliner Rechtsstaates. Der 1.Mai 1990 war nicht nur Ausdruck der sadomasochistischen Spaltung der politisierenden Linken in „Revolutionäre“ und „andere“, sondern ein Stück weit auch Realisierung westlich -östlicher Wertegemeinschaft.

Wäre der Osten tot, wäre der Westen einsam, das erkennen die faktischen Mächte im Kiez besser als Pätzolds Prügelechsen: Türken, Dealer, Mütter und Autonome bewiesen großzügige Gestfreundschaft gegenüber den eher scheuen Nachbarn aus Mitte und vom Berg. Nur die taz beschränkte sich darauf, in der Kochstraße den Polizeischutz zu genießen.

Tausche Westbullen gegen Ostglatze - insofern eröffnet die jüngste russische Revolution dem Kreuzberger Klassenkampf neue Perspektiven in Friedrichshain. Auch dort sitzt jetzt der Antiimp beim Bier und antiimpt. Zusammen gedacht heißt dies, daß die Vereinigte Berliner Polizeiführung vor einem Problem steht, wenn sich die Massenorgien einmal nicht am Görlitzer Bahnhof bündeln lassen.

Anders als wohl eine mir nicht näher bekannte „Berichterstattung“, anders auch, als die autonome Revolution („Interim“ usw.) geht die Nachbarschaft eher gelassen mit Ereignissen wie dem 1.Mai um. Für einige Pubs der einzige Ruhetag im Jahr, für viele Leute ein Rausch auf der Straße. Die Coolen warten ab, ob der Krach noch vor die eigene Haustür kommt... und schlagen dann zu.

Und wenn dann beim Steinhagelwalzer unterm Blaulichtstroboskop ein Molli eine Wanne küßt, und das Blut spritzt von den Köpfen unschuldiger Schulkinder, dann ist es wieder da, dieses wohlige Gefühl von Freiheit und Abenteuer.

Die x-te Generation

„Wenn mehrere interessierte Dritte miteinander konkurrieren, hat der Partisan einen Spielraum eigener Politik.“ (Carl Schmitt)

In Berlin beißen sich die Interessen des Großkapitals mit denen der einheimischen Nomenklatura. Aber egal, ob der Dicke oder der Geschlitzte hier Reichskanzler wird, zusammen mit den Türken ist die Szene unschlagbar. „Unsere junge Generation läßt jetzt auch ihre Wut raus. Das haben sie von den deutschen Militanten gelernt“, werde ich beim multikulturellen Joint aufgeklärt. Ein Ost-Römer kurdischer Abstammung pflichtet bei: „Steine werfen ist wie Bier trinken - für beides gibt es Argumente.“

Tot ziens op de barrikaden

Karsten Dose (Der Verfasser lebt als freier Autor in Kreuzberg