IN RIXDORF WAR MUSIKE

■ „Rixdorfer Museen, Neinsager und Caprifischer“: Eine Ausstellung zu Theater und Musik in Neukölln

E ein kleiner Rundgang durch den Bezirk genügt, um den Niedergang der einst so berüchtigten Neuköllner Vergnügungssucht hautnah zu erleben. In den Hinterhöfen plärren die Schlager von Roland Kaiser und Madonna, die Alkis gröhlen Hertha-Schlachtrufe, auf den Straßen liegen apathische Jugendliche herum, deren pattexverklebte Hirne per Walkman von Heavy-Metal-Orgien zerfräst werden. In der „Neuen Welt“ eiern die heiratsfähigen Neuköllner auf Rollschuhen herum und vollführen possierliche Balztänze, während gegenüber bei „Joe“ die einheimischen Polizeisekretärinnen mit BVG-Angestellten abhotten. In den Britzer U-Bahnhöfen vergnügen sich die Skinhead-Banden mit plumpem Prügelkontakt. Die unzähligen Eckkneipen, obwohl immer noch zweites Wohnzimmer für viele Neuköllner Familien, werden nur einmal im Monat von „Mannis rollender Disco“ angefahren, ein richtiger Schwoof kommt sonst kaum zustande. Nein, die einst so vergnügungssüchtigen Neuköllner sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.

Die Ausstellung „Rixdorfer Museen, Neinsager und Caprifischer“, in der Galerie im Saalbau, Karl-Marx-Straße 141, hat die letzten 100 Jahre neuköllnischer Musik- und Theaterkultur liebevoll in vier kleinen Räumen versammelt. Dem staunenden Beobachter entfaltet sich hier ein putzmunteres Potpourri von Volkstheatern, Sommerbühnen, Theater- und Musikvereinen, Wohltätigkeitskonzerten, Militärmusik, Musikschulen, Arbeiterchören und Agit-Prop -Gruppen. Das einstige Dörfchen Risdorf, das sich um die Jahrhundertwende zu einer Großstadt gemausert hat und 1920 von Berlin geschluckt wurde, galt weithin als Zentrum der Berliner Volksbelustigung. Als man so in den Ruch gekommen war, „daß Rixdorf ein Ort ist, in dem kein anständiger Mensch leben könne“, benannte man sich kurzerhand in Neukölln um. Den Schlager aber sang man weiterhin: „In Rixdorf ist Musike, da tanz ich auch mit der Rieke. Geh mit ihr ins Tanzlokal, Rieke Riekchen woll'n wir mal, kost‘ 'nen Groschen nur für die ganze Tour...“

Der nostalgische Ausflug in die Neuköllner Prachtfestsäle und Sommertheater zeigt, wie innig damals das Verhältnis von Volkskultur und Vergnügung war. Scholzenburgs Volksbadeanstalt „Die Wanne“ bot in der weitläufigen Gartenanlage zahlreiche Vergnügungsetablissements wie Kaffeeküchen, Kegelbahnen, Luftschaukeln, Schießstände, Kraftmessen und Feuerwerke, während nebenan die einheimischen Kapellen aufspielten. Die „Neue Welt“ wurde nicht nur für Schwoof, Theater und Konzerte genutzt, sondern auch für Versammlungen der Arbeiterbewegung. Keine Sinfoniedarbietung ohne geselliges Gelage und Tanz danach. Von der Tanzmeile Hasenheide heißt es: „Man ging nicht tanzen, sondern puffern, schweuern, hotten, zittern“. Wie viele Neuköllner sich an jenen Wochenenden der Tanzwut ergaben, macht eine hübsche Miniatur der Victoriasäle anschaulich: Im Tanzpalast konnten 1.800 Personen abhotten, während weitere 3.500 Leute in den Gartenanlagen die Kleinbühnen und verschiedenen Bumskapellen genießen konnten. Der Obrigkeit war dieses hemmungslose Treiben durchaus unheimlich. Schon zu Zeiten des Bismarckschen Sozialistengesetzes wurden Spitzel und Denunzianten auf die Versammlungen, die verdächtigen Vereine und Festlichkeiten angesetzt. Die Ausstellung gewährt hier eine Akteneinsicht, die für unsere Tage ebenso wünschenswert wäre. Wer in einer Kapelle auftrat, in einer Theatertruppe spielte, fand sich leicht in einem dieser Dossiers wieder, oft mit dem Zusatz: „Liest auch regelmäßig den 'Vorwärts‘. Als Jahrzehnte später der Swing von den Nazis verboten war, wurden die Swinglokale auf der Grenzmeile Neukölln/Kreuzberg zu Untergrundtreffpunkten.

Zwischen dem kleinbürgerlichen Mief der kaisertreuen Männergesangsvereine und dem proletarischen Selbstbewußtsein des Arbeitertheaters schienen die Möglichkeiten der Spiellust unbegrenzt gewesen zu sein. Die Amateurtheatervereine („Viktoria“, „Thalia“, „Nordpol“, „Undine“) befaßten sich mit lokalen Kriminalpossen, während an der Karl-Marx-Schule die Brechtschen Lehrstücke uraufgeführt wurden. Das Marionettentheater (Aujust, Aujust, zieh die Strippe) war ebenso selbstverständlich wie Bandonionvereine, Zitherspielkreise und Oratorienvereine. Einigen Größen des Neuköllner Musiklebens widmet die Ausstellung ausführlichere Ecken. Beispielsweise dem Allroundtalent Willi Meisel, der 1926 mit Ilona seinen ersten großen Hit landete. Das Lied der deutschen Schwimmer, Wir schwimmen uns frei, folgte bald darauf. 1931 floß aus Meisels Feder die erste deutsche Rumba, Ruth, tanz mit mir kubanisch, und zur Nazizeit kam der Marsch Deutschland den Deutschen. Nebenher kreierte er noch unvergängliche Werbesprüche wie „Alles tanzt wie ein Kreisel, spielt man Schlager von Meisel“. Rita Brüning beglückte die Nachkriegsberliner mit ihrem Durchhaltelied Ick kann doch von Berlin nicht weg, dem wenig später die Liebeserklärung Berliner Jungens, die sind richtig folgte. Ebenfalls in der Nachkriegszeit wurde der Komponist Gerhard Winkler, von dem in der Ausstellung Stammbuch, Zeugnismappe und Babymützchen zu sehen sind, bundesweit berühmt mit den Hits Capri-Fischer und O mia bella Napoli.

Was ist uns geblieben? Die Kindl-Festsäle sind die letzten noch erhaltenen und traditionell genutzten Festsäle in Neukölln, von den Theatervereinen ist auch nur noch „Vineta“ übrig (sie spielen jetzt, zusammen mit der „Neuköllner Oper“, in der Passage). Es sieht doch sehr armselig aus und wäre noch bedrückender, wenn wir nicht Peter Lardong hätten, der in der Hobrechtstraße seine (weltweit einzigartigen!) Schallplatten aus Schokolade herstellt. Man kann sie abspielen und dann aufessen. Er experimentiert jetzt auch mit Käse-Schallplatten. Das alles ist in der Ausstellung zu sehen, die hiermit wärmstens empfohlen sei, wie auch der prächtige Katalog, der dort für 20 Märker erhältlich ist.

Olga O'Groschen

Die Ausstellung läuft noch bis zum 22.Juli Di bis So von 11 bis 18 Uhr, Galerie Saalbau, Karl-Marx-Straße 141, 1/44.