Falsche Richtung

Die allgemeine Grundtendenz der taz hat sich in den letzten Jahren doch zu deutlich in die falsche Richtung bewegt. Dazu einige Beispiele:

1. Der Kommentar nach Bekanntwerden der taz-Bespitzelung durch den Verfassungsschutz (28.11.89), sieht völlig naiv „Rechtsstaat“, „Pressefreiheit“ und „demokratische Öffentlichkeit“ bedroht, die unhinterfragt als positiv und als tatsächlich gegeben angesehen werden. Warum ausgerechnet diese Bespitzelung das ganz ganz schlimme Ereignis gewesen sein soll und nun „eine Krise zwischen Staat und Demokratie beginnt“, wie der Kommentator schreibt, bleibt bei Betrachtung der BRD-Innenpolitik ein Rätsel. Es scheint, als ob der taz-Schreiber erst dann einen Aufschrei losläßt, wenn er selbst den „Rechtsstaat“ zu spüren beginnt.

2. Am 11.11.89 geben die Seiten 1 bis 11 völlig unkritisch und zum Teil euphorisch den Tag der Berliner Maueröffnung wieder. In den über zehn Jahren taz sind wahrlich wichtigere Dinge passiert, die jedoch nicht annähernd diesen Raum eingeräumt bekamen. Die taz genießt es, so sieht es aus, endlich ohne Wenn und Aber mit dem Mainstream des deutschen Volkes mitschwimmen zu können. Und so verging mehr als ein Monat (23.12.89), bis sie die Ängste von AusländerInnen entdeckte.

3. Brigitte Fehrle bemängelt am 26.2.90, daß die AL in Kreuzberg gegen BesetzerInnen ihres Büros ihre „Politik des pragmatischen Reformismus“ nicht „offensiv“ vertritt, zu deutsch: mit dem Polizeiknüppel räumen läßt. Die BesetzerInnen aus dem autonomen Spektrum kommen nicht zu Wort, ihre Beweggründe sind nicht mal zu erahnen. Daß es eine Wohnungsnot in der BRD gibt, die solche Aktionen verständlich macht, ist der Autorin offenbar entgangen.

4. Klaus Hartung bezeichnet linke KritikerInnen der Wiedervereinigung (2.3.90) als „Linkssektierer“, die die Politik „Verlierer-aller-Länder-vereinigt-Euch“ betrieben. Logische Konsequenz für alle Nicht-SektiererInnen müßte also sein, sich auf die Siegerseite zu stellen, also auf die nationalistische, fremdenfeindliche, patriarchale, unsoziale und profitorientierte.

Diese (extremen) Beispiele offenbaren, denke ich, eine mit den Jahren in der taz siegreiche Strömung, die die Grundprinzipien dieses Staates prinzipiell bejaht, Opposition von einem Macho-mäßigen Standpunkt als „born to lose“ ablehnt und Linke in den Grünen („notorische Nörgler“, 21.3.90) sowie natürlich erst recht Autonome, AnarchistInnen etc. entweder nicht mehr erwähnt oder mit tendenziösen Berichten verzerrend darstellt.

Daß auch eine feministische Orientierung der großen Berichterstattung über (inter-)nationale Machtpolitik geopfert beziehungsweise auf die von völlig überarbeiteten Redakteurinnen erstellte Frauenseite zurückgedrängt wurde (Aufsatz von Gunhild Schöller, 21.4.90), während die restlichen Macher tagtäglich einen „Männerbund mit Frauenquote“ (Ulrike Helwert) zelebrieren, paßt ins Bild: Das Projekt einer linken und qualitativ anderen Tageszeitung wurde weitgehend ad acta gelegt.

Nur ansatzweise und bruchstückhaft unterscheidet sich die taz positiv von den „großen deutschen Tageszeitungen“: Dies vor allem auf der lebendigen LeserInnenbriefseite und im Umgang mit Kritik am eigenen Produkt, die in ihm nachzulesen ist.

Die Innenpolitik-Redaktion wagt sich (noch) ab und zu an heiße, anschlagsrelevante Eisen wie den § 129 a, Gentechnologie, Asylpolitik heran. Auch aus Mittelamerika kommen noch Berichte, die den Konsens der Demokraten mißachten. Dies gilt jedoch nicht für den Rest der Welt.

Die Osteuropa-Berichterstattung (vor allem UdSSR, Ungarn, DDR, Jugoslawien) liefert seit geraumer Zeit „Reformen“ und „Umgestaltung“ völlig unhinterfragt und mit positiver Wertung als zukünftige Heilsbringer. Daß marktwirtschaftliche Reformen die schlimme soziale Situation eher noch verschärfen oder zumindest auch negative Folgen (vor allem für Frauen) nach sich ziehen werden, war offenbar nicht der Rede wert.

Und daß das Scheitern nationalstaatlicher (realsozialistischer) Alleingänge in Osteuropa durch einen nach brutalen Marktgesetzen strukturierten Weltmarkt (vergleiche die Verschuldung, die Währungsschwäche, die Rückständigkeit der Produktion und Nichtkonkurrenzfähigkeit der Waren) zumindest mitverursacht wurde, war ebenfalls kein Thema für die taz. Die einzige etwas differenzierte Berichterstattung, die auch die sozialen Kosten der Reformen nicht verschweigt, kommt aus Polen.

Zur DDR gab es bislang einen Artikel gegen den Strom (Gabriele Goettle, 26.2.90), der bezeichnenderweise auf der Kulturseite (!) abgedruckt wurde. Eine einzige Katastrophe sind die Berichte aus dem Kosovo (ähnlich die über die Konflikte in der UdSSR), die einen blanken Nationalismus (die Serben sind bös, die Albaner sind gut) transportieren, die zum Teil weltmarktvermittelte soziale und wirtschaftliche Notlage in Randbemerkungen abhandelt und den Protest serbischer Frauen gegen Vergewaltigungen durch albanische Männer als reine Inszenierung serbischer Männer abtut.

Die Wirtschaftsseite ist zwar sehr informativ, doch schaffen es die volkswirtschaftlich geschulten Autoren kaum mal, eine kritische Position jenseits eines naiven Glaubens an eine über Wettbewerb zu erreichende gerechte Marktwirtschaft zu beziehen.

Die Seite, die die Neuorientierung der taz am schärfsten verkörpert, ist die Musikseite. Sie spricht mit ihrer esoterisch-abgehoben-kunstorientierten Auswahl von Produkten der Großindustrie (Siemens, Deutsche Grammophon und weitere Rüstungskonzerne bekommen kostenlose Werbung) eine gut -situierte, etablierte, gutverdienende, elitäre, alternative BildungsbürgerInnenschicht um die 30 an, die keinen Grund zur Rebellion mehr hat.

Wichtige subkulturelle Entwicklungen in der unabhängigen Musikproduktion (Noise, Straight Edge, Grindcore, Crossover...) oder Musik aus schwarzen Ghettos (HipHop) werden meist übersehen. Dieselbe LeserInnenschicht wird auf den grauslichen Tourismus- und Esoterikseiten bedient.

Die ganzen Details verstärken den Eindruck, daß sich die taz längst innerhalb dieses Staates eingerichtet und dessen Eckpfeiler (Rechtsstaat, Männerherrschaft, Marktwirtschaft, führende Weltmarktstellung, staatliches Gewaltmonopol, politisches Repräsentationssystem, deutsche Nation) längst akzeptiert hat.

Dies zeigt auch die Broschüre Zehn Jahre Pressefrechheit taz (1989): tazlerInnen selbst sind stolz darauf, daß das Besondere an ihrer Zeitung der „freche“ formalistische Stil und nicht etwa eine linke/kritische Grundhaltung sei. Die taz selbst sieht sich gern als Teil der federführenden bundesdeutschen Presselandschaft („von 'Faz‘ bis taz“) und nicht als etwas qualitativ anderes. Sie hat sich also nach Eigenaussage, in der realexistierenden, herrschenden BRD-Wirklichkeit etabliert, also bequem eingerichtet. Vielleicht hat sie, da die Finanzsituation einigermaßen gefestigt ist, keinen Grund mehr zu rebellieren.

Die taz ist ein Servicebetrieb geworden, der einer gut verdienenden, jungdynamischen, mit komfortablen Wohnraum ausgestatteten, linksalternativ angehauchten, (post -)modernen Mittelschicht den täglichen News-Bedarf stillt. Was sie nicht ist, ist eine linke Tageszeitung, die eine Utopie vor Augen hat und die der zersplitterten BRD-Linken von Bürgerrechts- bis zu militanten Gruppen, die eine grundlegende Veränderung des Hier und Jetzt anstreben, ihre Gemeinsamkeiten aufzeigt.

Eine linke Tageszeitung mit großer Auflage könnte einem breiten Spektrum die über alle Grabenkämpfe hinweg gemeinsame Angriffsrichtung zeigen.

Kurt, Nürnberg