45 Grad im Schatten

Schule als Dressuranstalt und Sortiermaschine. Die Lehrer sind Propagandisten der Partei, ihre Zöglinge potentielle Nutztiere der Gesellschaft. Mit kaltem Blick und präzisen, dabei anschaulichen Formulierungen rechnet Freya Klier mit dem DDR-Erziehungswesen ab, wie es vor dem November 1989 funktionierte. Vor sechs Jahren noch war die Autorin wegen ihrer Regiearbeiten in der DDR gefeiert, Anfang 1988 aber gefeuert worden: Freya Klier wurde ausgebürgert. In ihrem Buch „Lüg Vaterland“ legt sie die Maschinerie eines Schulsystems bloß, in dem vor allem Angepaßte überlebten. Nach Freya Klier gründete DDR-Erziehung auf einer Lügenstrategie: Die Wirklichkeit wurde von den Herrschenden uminterpretiert, die Schüler wurden nach dem Klassenstandpunkt ausgewählt: „Die Herrschaftslüge zieht die Bildungslüge unweigerlich nach sich.“ Die Lügen haben lange gelebt. Freya Klier: „Lüg Vaterland - Erziehung in der DDR“, Kindler Verlag, München, 224 S., DM 28.

Hartmut Böhme vom Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg wird den Nachlaß des zumeist nur als Hölderlin-Freund bekannten Dichters Casimir Ulrich Boehlendorff (1775-1825) sichten und zu einer dreibändigen Sammlung aufbereiten. Für die deutsche Literatur war der kurländische Dichter seit 1803 verschollen, als er nach heftigen Angriffen der Berliner Spätaufklärer und infolge eines psychischen Zusammenbruchs in die russischen Ostseeprovinzen zurückkehrte, wo er über 20 Jahre ein ruheloses Wanderleben führte. Was er, noch nicht fünfzigjährig, bei seinem Tode 1825 an Manuskripten hinterlassen hatte, galt seit dem Ersten Weltkrieg als verloren und spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg als vernichtet. Durch Entgegenkommen russischer und besonders estnischer und lettischer Institutionen konnten diese hinterlassenen Schriften wiederentdeckt werden. Die Seltenheit von erhaltenen Erstdrucken sowie das Auffinden der Nachlaß-Manuskripte lassen eine Edition seiner noch vorhandenen Werke als längst überfällig erscheinen. Boehlendorffs Schriften werden im Verlag Stroemfeld/Roter Stern (Zürich/Frankfurt/M.) erscheinen, der auch die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe herausbringt. Die Publikation des ersten Bandes mit dem Schwerpunkt autobiographischer Texte des Dichters ist für 1993 vorgesehen.