Erinnerung

Zum endgültigen Fall der Mauer  ■ K OM M E N T A R

Eher eine Meldung aus der Vorvergangenheit oder bestenfalls eine Pflichtmeldung: am 2. Juli fällt die Mauer endgültig. Wenn an diesem Tag mit hoffentlich vielen ehrenamtlichen Helfern dieser Tag begangen wird, ist nur noch die Inszenierung eines Lokalereignisses. Sollte man also mit Enzensberger gerade das Unspektuläre als Beweis demokratischer Normalität, als Symptom jener neuen und etwas biederen Nüchternheit feiern? Jedenfalls spielt um diese Mauerdaten doch die Ironie der Geschichte. Die Öffentlichkeit verpaßte den Fall der Mauer, sofern sie Instrument der Unterdrückung war: das war, als im Oktober die damalige CSSR die Grenzen für DDR-Bürger öffnete. Und nun ist der Moment, wo die Stadt wieder ineinandergefügt wird, ein eher passagerer Vorgang.

Nicht zufällig ging die Mauermeldung einher mit der Ankündigung, daß die Preisbindung in der DDR aufgehoben wird. Mit der Aufhebung der Mauer wird nun sichtbar, daß nichts zusammenpaßt: die Straßenverläufe nicht, nicht die Verkehrsplanung, noch die öffentlichen Dienste, noch die öffentlichen Haushalte. Ein anderer Alltag, andere Hoffnungen, andere Ängste, die sich fatal zu einem gemeinsamen Mißtrauen gegenüber der Zukunft ergänzen. Nicht nur die Stadthälften stehen Rücken an Rücken, sondern auch die Menschen. Es wäre nicht überraschend, wenn selbst die Alpträume hüben und drüben anders wären. Das Einzige, was sich in diesem Berlin sofort und leider dauerhaft verbunden hat und offenbar einen gleichen Geist entdeckt hat, das sind die öffentlichen Verwaltungen. Die Bürokratieunion geht jedenfalls der Währungsunion voraus.

Daß die 28jährige Trennung tiefer geht, als angenommen, ist nicht eigentlich überraschend. Erschrecken muß vielmehr, wie gering die Neugier, die Antizipation, die Lust auf Veränderung ist, mit der auf die Realität der Trennung reagiert wird. Eine miesepetrige Hauptstadtbevölkerung richtet sich auf die Leiden in der künftigen Großstadt ein. Eine mißtrauische Frontstadtbevölkerung patrouilliert unruhig an den Vorgärten. Die Toleranz sinkt sichtbar. Die Wanderer aus der Armut des Ostens müssen schon für diese kleinkarierte Besitzstandswahrung bezahlen. Nicht Versöhnung, sondern Streit ums Sozialprodukt ist angesagt. Die ÖTV ist der Spiritus rector der Berliner Einigung. Auch wenn die Linke eilfertig Symptome gesucht hat für die Wiedervereinigungseuphorie, für die nationale Euphorie - die Euphorie gibt es nicht, nicht einmal eine Deutschland- oder Hauptstadteuphorie. Das ist das eigentlich Erschreckende.

Klaus Hartung