Zu späte Gerechtigkeit

■ Der Volkskammerbeschluß zur Treuhandschaft über das Vermögen der alten Parteien

Ist die Vorbereitung der Enteignung der PDS, der alten Blockparteien, der Gewerkschaften und der alten Massenorganisationen ein Sieg der „historischen Gerechtigkeit“, gar der „Demokratie“, wie manche meinen? Daß die eigentlichen Revolutionäre vom November - heute in der Volkskammer durch das Bündnis 90 vertreten - den Beschluß heftig begrüßen, sollte auch für Sympathisanten dieser Richtung noch kein Grund sein, eigenes Nachdenken aufzugeben. Die Enteignung dieser Vermögen wäre im Oktober/November eine eindeutig revolutionär-demokratische Maßnahme gewesen. Doch die Revolution ist vorbei, heute fügt sich diese Maßnahme ein in die aktuelle politische Landschaft. Die bestimmenden Akteure sind nicht mehr die Bürgerrechtler von damals. Eine Volkskammer ist kein Revolutionstribunal, und sie sollte auch nicht so tun, als ob sie eines wäre. Das handstreichartige Verfahren, das für diese Gesetzesinitiative gewählt wurde, stärkt ein weiteres Mal die Exekutive gegenüber der Legislative.

Der Beschluß richtet sich heute gegen eine Partei, die gerade in vermögensrechtlichen Fragen bewußt Kontinuität zur SED verkörpert, wobei sie deren Vermögen in „unrechtmäßig“ und „rechtmäßig Erworbenes“ trennen wollte. Dabei hat es dem Vernehmen nach zumindest auf lokaler Ebene etliche Fälle gegeben, in denen Funktionäre ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Zweifellos besteht hier Aufklärungsbedarf. Die Frage ist, ob das in der jetzt gewählten Form geschehen mußte.

Die PDS ist - bei aller Kontinuität - nicht mehr identisch mit der alten SED. Nicht nur Programm und Führung haben sich grundlegend geändert, sondern ihre Mitglieder machen auch Lernprozesse durch, die nicht weniger glaubwürdig sind als die entsprechenden Prozesse in den anderen Parteien. Mit diesen PDS-Mitgliedern und ihren Wählern muß man sich - was die anderen Volkskammerfraktionen bisher nicht geschafft haben - politisch auseinandersetzen, nicht mit Hilfe von Enteignungsaktionen und Staatsanwälten. Das trägt nur zu dem allgemeinen Verdrängungsprozeß bei, der jetzt schon das politische Klima in der DDR vergiftet.

Und schließlich ist es nicht einsichtig, warum es sich um Regierungskommission und Regierungstreuhänder handeln muß. Die Überprüfung des Vermögens auch der anderen ehemaligen Blockparteien wird damit zur Farce. Eine parlamentarische Untersuchungskommission und eine unabhängige Wirtschaftsprüfung würde das Vorhaben weit glaubwürdiger machen. Statt dessen geht die Regierung nun unter dem Slogan „Chancengleichheit“ dazu über, die Finanzangelegenheiten eines Teils der Opposition zu kontrollieren. Das mag, wer will, als einen Beitrag zur „Demokratisierung“ des System betrachten.

Walter Süß