Dissidententrio sagt Pressekonferenz ab

■ In einem offenen Brief appellieren die Dissidenten an Vernunft und Gewaltlosigkeit und begrüßen die Freilassung von 211 Teilnehmern der Demokratiebewegung

Peking (taz) - Der chinesische Sänger und Komponist Hou Dejian hat eine für gestern geplante Pressekonferenz offensichtlich auf Druck der Pekinger Sicherheitsbehörden abgesagt. Der 33jährige gab „private Gründe“ für die Entscheidung an. Journalisten trafen in seiner Wohnung lediglich auf eine Bekannte, die über den Aufenthaltsort Hous keine Auskunft erteilen konnte. Sie erklärte aber nach einem Telefonat mit ihm: „Es geht ihm gut.“ Auf der Pressekonferenz wollten der Musiker Hou Dejian sowie zwei seiner Freunde - der leitende Angestellte der halbprivaten Computerfirma „Stone“, Zhou Dou, und der Journalist Gao Xin

-einen offenen Brief „An die chinesische Führung“ vorstellen. In dem Schreiben appelliert das Trio an die KP, den Universitätsdozenten Liu Xiaobo und die noch festgehaltenen „nichtkriminellen“ Studenten und Intellektuellen freizulassen. Zhou Duo und Gao Xin waren erst kürzlich mit 209 anderen Häftlingen aus dem Qinchenggefängnis entlassen worden. Die vier hatten kurz vor dem Tiananmenmassaker einen Hungerstreik begonnen, mit dem sie einen Dialog zwischen Regierung und Studenten erzwingen wollten. Hou Dejian verhandelte in der Nacht zum 4. Juni mit einem Offizier der 27. Armee über den friedlichen Abzug der Studenten, die zu jener Stunde noch um die Heldensäule versammlt waren. Später verbarg er sich mehrere Wochen in der australischen Botschaft. Nachem er die Mission verlassen hatte, erklärte er in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen, er habe nicht gesehen, daß die Soldaten unmittelbar auf dem Platz geschossen hätten. Pekinger Studenten verdächtigten ihn daraufhin, sich mit dieser Äußerung die Reinheit erhandelt zu haben - was der Sänger abstreitet. Der gebürtige Taiwanese, der 1983 in die Volksrepublik übersiedelte, war in den letzten Wochen der einzige chinesische Dissident, der in Interviews mit ausländischen Journalisten wagte, die Führung zu kritisieren. In dem in milder Sprache gehaltenen Brief schreiben die drei Verfasser, das chinesische Volk habe das letzte Jahr in „größter Stille und Depression verbracht...“, während die „große Mehrheit der sozialistischen Staaten fundamentale soziale Reformen in friedlicher Weise verwirklicht“. Das Trio begrüßt die Freilassung von 211 Teilnehmern der „Demokratischen Bewegung“: „Wir hoffen, daß Vernunft, Toleranz und das Prinzip der Gewaltlosigkeit von allen Seiten noch mehr Unterstützung erhalten, deshalb verlangen wir aufrichtig, daß sie mit Liu Xiaobo und den vielen anderen Nicht-Kriminellen, die noch in Haft sind, in humanitärer Weise verfahren.“ In Peking war gestern bis Redaktionsschluß nicht klar, unter welchen Umständen die Pressekonferenz abgesagt wurde und wann die Unterzeichner wieder an die Öffentlichkeit treten werden. Vermutlich hat ihnen die Polizei mit Haft gedroht, wenn sie ihr Vorhaben durchsetzen.

Boris Gregor