Freudenfeste am stillgelegten AKW Vandellos I

Im vergangenen Oktober kam es in dem spanischen Reaktor zum Beinahe-GAU / 62 registrierte Störfälle in sieben Jahren / Heftige Proteste gegen Atomenergie / Jahrelange Plutoniumlieferungen an französische und deutsche Firmen - meist ohne Kontrolle über Verwendung  ■  Aus Barcelona Nikolas Marten

„Wenn ein Autobus einen Unfall hat, ist es manchmal billiger, einen neuen zu kaufen, als ihn zu reparieren. Und wenn das nicht geht, nimmt man eben den Zug.“ Mit dieser Metapher erklärte Spaniens Industrie- und Energieminister Claudio Aranzadi grinsend die endgültige Stillegung des antiken Atommeilers Vandellos I. In den anliegenden Touristendörfern der Costa Dorada in Katalonien wurde die Nachricht mit Straßenfesten und Freudendemonstrationen gefeiert. „Hem tancat Vandellos“ - „Wir haben Vandellos geschlossen“ - heißt die Losung auf Fahnen und Mauern.

Am 19. Oktober 1989 wurden durch „Korrosion eines Kugellagers und Konstruktionsfehler am Originalmaterial“, wie der Abschlußbericht der nationalen Atomsicherheitsbehörde CSN resümiert, zwei der vier Generator-Turbinen des 160-MW-Reaktors völlig zerstört. In der 535-Seiten Akte heißt es weiter: „Es fehlten nur wenige Minuten bis zum Zusammenbruchs des Kühlsystems“, also zum Super-GAU. Der 1971 ans Netz gegangene Raktor hatte allein in den letzten sieben Jahren 62 meldepflichtige Störfälle. Wie die havarierte Anlage in Tschernobyl arbeitete auch Vandellos I auf Graphitbasis und feuerte mit Natururan.

Die Bevölkerung reagierte mit lokalen Generalstreiks, Demonstrationen, Mahnwachen und Unterschriftenkampagnen. Ein überfraktioneller Antrag, der eine „dauerhafte Stillegung von Vandellos I“ forderte, wurde vom autonomen katalonischen Parlament ohne Gegenstimme angenommen. Da die Weisungsbefugnis bei der Madrider Zentralregierung liegt, hatte diese Entscheidung mehr symbolischen Charakter.

Nun droht der Betreiber mit einer Klage wegen „ungerechtfertigter Zwangsenteignung“. Dies, obwohl die sozialistische Regierung den Eignern 380 Millionen Mark Entschädigung zusagt sowie die auf eine halbe Milliarde Mark veranschlagten Stillegungskosten mit Steuergeldern finanzieren will.

Doch es gibt neue Beweise, daß dem Betreiber weniger an Stromerzeugung als an Plutoniumgewinnung und Verkauf gelegen ist. Pedro Duran Farell, bis 1969 Präsident der „HIFRENSA“, erklärte am 1. November 1989 gegenüber der Zeitung 'Diari de Barcelona‘: „Vandellos I war von Anfang an als Plutoniumfabrik geplant.“ Sprecher des Unternehmens hatten bis dahin die Existenz dieses für Atomwaffen unentbehrlichen Materials immer geleugnet. Daß jedoch über ein Jahrzehnt Plutonium 239 aus Vandellos per Bahn in das französische Nuklear- und Kernwaffenzentrum Marcoule transportiert wurde, beweist ein Briefwechsel. Am 8.2.1988 schickte der Abgeordnete Gonzales eine Anfrage, in der es heißt: „Was geschieht mit dem radioaktiven Material, speziell dem Plutonium 239, das in spanischen AKWs produziert wird?“ Ferner erkundigte sich der christdemokratische Parlamentarier, welche Garantien es gebe, daß „dieses Material nur für friedliche Zwecke genutzt wird“.

In der zweiseitigen Antwort der Regierung vom 12.4.1988 heißt es: „Das verbrauchte radioaktive Brennmaterial wird in den spanischen AKWs in deren eigenen Einrichtungen gelagert, mit Ausnahme des Reaktors Vandellos I (...) Im Falle von Vandellos I wird das dort gewonnene Brennmaterial zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich geschickt.“ Weiter ist zu lesen, daß „ab 1979“ der Vertrag so modifiziert wurde, daß nun „die Betreiberfirma HIFRENSA Eigentümer des anfallenden Materials wurde und den Verkauf des gewonnenen Plutoniums in verschiedenen Mengen an die Firmen COGEMA, E.D.F., ENEL und KWU abwickelte“. In dem Text heißt es später: „Seit 1983 muß in allen von der obersten Energiebehörde genehmigten Verkäufen angezeigt werden, daß das Plutonium für friedliche Zwecke benutzt wird.“

Dies bedeutet nichts weniger, als daß über einen Zeitraum von elf Jahren weder Kontrollen über den Verkauf noch über Zweckbestimmung des Plutoniums 239 vorgenommen wurden.