„Privaten Reichtum im Westen zugunsten der DDR-Hilfe zurückschrauben“

Interview mit Friedhelm Farthmann, Chef der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion und Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, zu Lafontaine und zur Deutschlandpolitik seiner Partei  ■ I N T E R V I E W

taz: Wenn Gerhard Schröder in Niedersachsen Ministerpräsident wird, könnte die SPD den Staatsvertrag im Bundesrat scheitern lassen. Sind Sie dafür?

Friedhelm Farthmann: Nein. Das will auch niemand. Das will auch Oskar Lafontaine nicht, und das wäre auch nicht zu verantworten.

Sie würden also auch ohne Nachbesserungen zustimmen.

Bei der Diskussion über diesen Staatsvertrag muß eine völlig neue Dimension eingeführt werden. Das Ja oder Nein zum Staatsvertrag hat nämlich nichts zu tun mit dem Ja oder Nein zur deutschen Einheit. Das Ja zur deutschen Einheit ist in der Bundesrepublik im wesentlichen gelaufen. Wichtig ist aber, zu erkennen, daß der Staatsvertrag allenfalls der erste Schritt, aber noch keinesfalls die Lösung der gewaltigen Aufgabe ist, die demnächst auf uns zukommt und im wesentlichen von der Bundesrepublik zu bezahlen sein wird. Der Staatsvertrag hat viele Fehler und Nachteile. Trotzdem müssen wir ihn wirksam werden lassen, weil sonst das völlige Chaos entstünde.

Auch wenn bei den Kohl-Vogel-Gesprächen nichts herauskommt?

Bei diesen Gesprächen sind bereits Korrekturen erzielt worden. Entscheidend ist aber, daß bisher weder den Bürgern hier noch denen in der DDR klargemacht worden ist, was demnächst auf sie zukommt. Der Staatsvertrag ist so angelegt, als ob wir die ganze Operation der deutschen Einheit aus laufenden Haushaltsmitteln und ein paar zusätzlichen Darlehensmilliarden bezahlen könnten. Der grundsätzliche Fehler des Staatsvertrages besteht darin, daß er so tut, als ob es nur um Risiken der Bürger der DDR ginge. Das wird aber ganz sicher nicht der Fall sein. Auch den Bürgern hier bei uns muß klargemacht werden, daß uns jetzt eine Rechnung präsentiert wird, deren Ausmaß nicht einmal zu erkennen, geschweige denn zu beziffern ist.

Lafontaine empfiehlt der Bundestagsfraktion, deshalb den Staatsvertrag abzulehnen. Was ist die nordrhein-westfälische Position, ist der vorliegende Staatsvertrag zustimmungsfähig?

Diesen Staatsvertrag kann niemand mehr aufhalten, weil wir die Wirtschafts- und Währungsunion jetzt herbeiführen müssen, und deshalb müssen wir den Vertrag passieren lassen.

Lafontaine verlangt die Ablehnung im Bundestag. Sein engster Berater Reinhard Klimmt spricht von einer „kritischen Situation“, sollte die Fraktion anders entscheiden...

...Sie wollen das ganze Problem immer nur unter dem Gesichtspunkt sehen, ob es in der SPD innerparteilichen Streit gibt oder nicht. Nach diesen kleinkarierten Maßstäben kann man das gewaltige Thema aber nicht diskutieren. Auch Oskar Lafontaine will den Staatsvertrag passieren lassen.

Aber nicht im Bundestag.

Das ist ein kritischer Punkt. Ich habe Oskar Lafontaine so verstanden, daß mit dem Widerspruch im Bundestag die Dimension der Problematik deutlich gemacht werden soll, ohne den Staatsvertrag aufzuhalten, weil die Sozialdemokraten im Bundestag nicht über die Mehrheit verfügt. Ein solches Verhalten ist im demokratischen Leben für Oppositionsparteien durchaus nicht unüblich. Ich muß allerdings zugeben, daß dieses Vorgehen den Bürgern nur schwer verständlich zu machen ist.

Finden Sie, daß Lafontaine in dieser Frage politisch klug agiert?

Der Bundeskanzler versucht, den Bürgern weiszumachen, daß die Zustimmung zum Staatsvertrag identisch ist mit der Zustimmung zur deutschen Einheit. Es ist das ganze große Verdienst von Oskar Lafontaine, dieses Täuschungsmanöver entlarvt zu haben. Offenbar ist das auch von allen Sozialdemokraten bisher noch nicht erkannt worden.

Frau Renger, Herbert Ehrenberg und andere bekannte SPD -Politiker werfen Lafontaine eine völlig falsche Deutschlandpolitik vor und wollen nicht mit Nein stimmen. Die Kritik klingt vertraut. Seine Vorschläge zum Stopp der Übersiedlung aus der DDR stießen zunächst - bevor man sie dann übernahm - auch auf erheblichen Widerstand. Erwarten Sie jetzt einen ähnlichen parteiinternen Diskussions- und Entscheidungsverlauf?

Die von Ihnen genannten Personen haben sicherlich die Sorge, daß durch diese Diskussion der Eintritt der Wirtschafts- und Währungsunion verzögert werden könnte. Das ist aber gar nicht das Thema, denn das wird ja von niemandem ernsthaft in Frage gestellt.

Die SPD will durch zusätzliche Maßnahmen verhindern, daß die Arbeitslosigkeit in der DDR nach Einführung der D-Mark abrupt hochschnellt. Wie soll das gehen? Wie wollen sie verhindern, daß der Trabi zum Ladenhüter wird?

Das kann natürlich keiner verhindern, und das will auch keiner verhindern, denn dieses Auto ist angesichts des Standes der Technik ein unzumutbares Produkt. Deshalb kommt es darauf an, Mittel für neue Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, die künftig im riesigen Umfange gebraucht werden. Neben dem Abbruch muß umgehend das Neue wachsen. Es muß etwa eine komplette Finanzverwaltung aufgebaut werden. Im Bereich des Bankgewerbes, des Tourismus, der Hotelerie werden Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen entstehen. Auch das kann man durch gezielte Förderung massiv beschleunigen.

Der Aufbau neuer Sektoren erfordert viel Geld. Die SPD -Ministerpräsidenten haben einem DDR-Fonds zugestimmt, der für diese Aufgaben viel zu klein bemessen ist. Doch schon dieser Fonds wurde von der stellvertretenden SPD -Fraktionsvorsitzenden Ingrid Matthäus-Maier als „unseriöse Schuldenmacherei“ klassifiziert. Wo steht denn nun die SPD?

Bei dem Fonds sind die Länder einigermaßen fair behandelt worden, aber die deutsche Einheit kann damit nicht finanziert werden.

Ist der Fonds nun vernünftig oder „unseriös“?

Man kann im Rahmen des Einigungsprozesses ganz sicher einiges über Kredite finanzieren. Aber es soll keiner meinen, daß es damit schon gelaufen wäre. Den historischen Aufgabe werden wir mit ein paar Krediten nicht gerecht.

Sie fordern mehr Opfer von der westdeutschen Bevölkerung?

So ist es. Insgesamt ist das Ganze nur finanzierbar, wenn es uns gelingt, auf breiter Front den privaten Reichtum zugunsten der Hilfe für die DDR zurückzuschrauben.

Da freut sich der Bundesbürger...

Wir werden am Ende dieses Jahrtausends nicht danach gefragt, ob wir wie die Maden im Speck gelebt haben, sondern danach, ob wir den deutschen Kulturraum in seiner Gesamtheit überlebensfähig erhalten haben.

Interview: Walter Jakobs