DDR-Regierung enteignet PDS-Opposition

Volkskammer beschließt, Vermögen aller Parteien und Gewerkschaften unter Regierungskontrolle zu nehmen / Treuhandgesellschaft soll dazu gebildet werden / Volkskammer-Redner machen deutlich: Beschluß zielt gegen PDS / Gysi: „Ein Versuch, uns zu liquidieren“  ■  Aus Berlin Walter Süß

Die Regierungsparteien der DDR haben die Enteignung der stärksten Oppositionspartei im Noch-Staat eingeleitet. Die Volkskammer beschloß gestern in einem handstreichartigen Verfahren, die Finanzen aller Parteien und ehemaligen Massenorganisation, die vor dem 7. Oktober letzten Jahres existierten, einer Treuhandkommission der Regierung zu unterstellen. Das bedeutet, daß Parteien und Gewerkschaften ohne Zustimmung der Regierungstreuhänder auf unbefristete Zeit nicht über eine einzige Mark selbständig verfügen können. Außerdem wird die Enteignung der vor dem 7. 0ktober 1989 erworbenen Vermögenswerte vorbereitet. Sie sollen „zugunsten gemeinnütziger Zwecke eingezogen werden können“.

Zwar ist in dem Text von allen Parteien die Rede, doch die Redner der konservativen Fraktion und der SPD machten sehr schnell deutlich, daß die Aktion gegen die PDS zielt. Der DSU-Fraktionschef Walther sprach davon, es sei das Ziel, „soziale Nischen für Parasiten oder Funktionäre“ zu beseitigen. Richard Schröder von der SPD erklärte, er habe „den Verdacht, daß im Umfeld der ehemaligen SED viele krumme Dinger laufen“. Doch er habe den Antrag „nicht so verstanden, daß es um die Kriminalisierung einer Partei dieses Hauses geht“ und auch die „Arbeitsfähigkeit der Einzelgewerkschaften“ wollte die SPD nicht gefährden. Dafür werde er sich „einsetzen“.

Der Enteignungsantrag war von den Regierungsparteien kurz vor der Volkskammersitzung eingebracht worden. Das Präsidium des Parlaments erfuhr erst eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn von der Änderung der Tagesordnung.

Die Regierungskommission, die vom Ministerpräsidenten zusammengestellt wird, soll „bis zum 30. Juni 1990 die Vermögenswerte aller Parteien und Massenorganisationen der DDR im In- und Ausland“ feststellen.

Matthias Platzeck vom oppositionellen Bündnis90/Grüne begrüßte den Antrag zwar grundsätzlich. Er forderte aber, die Regierungskommission müsse mehrheitlich mit Vertretern von Parteien besetzt werde, die nach dem Oktober gegründet worden waren, das heißt SPD, DSU und Bündnis90. Das Bündnis sei „für die Enteignung unrechtmäßig erworbenen Eigentums nicht nur der SED sondern auch der ihr vierzig Jahre treu folgenden Blockparteien“.

PDS-Chef Gregor Gysi wies in seiner Kritik an dem Vorstoß darauf hin, daß sich in dem ganzen Antrag das Wort „unrechtmäßig“ in bezug auf das Vermögen seiner Partei kein einziges Mal findet. Hier gehe es offensichtlich um das Gesamtvermögen. Es entsteht damit die „einmalige Situation, daß die Regierung das Eigentum der Opposition verwaltet“. Der Partei werde „jede Entscheidungsmöglichkeit in finanziellen Fragen“ genommen, sie werde „entmündigt“. Es sei ein Versuch, „die PDS zu liquidieren“. Gysi: „Wir werden das nicht hinnehmen.“ Kommentar Seite 10

Interview Seite 2