Pariser Leben a la carte

■ Was BremerInnen kaum ahnen, in Paris ist es Alltag: Leben mit Plastikkarten / Auch bei Croissants

Ein unachtsamer Bankangestell ter hatte meinen Antrag auf eine Kreditkarte in einem schwachen Moment positiv beschieden und seinen Wagemut noch auf die Spitze getrieben, indem er einen Kreditrahmen errechnete, der durch den Einheitslohn keineswegs zu rechfertigen war. Aber wie dem auch gewesen sein mag: Ich hielt es in den Händen'dieses geriffelte Stück Plastik, auf dem bläulich schillernd eine holographische Taube eine neue Zeit transmateriellen Konsumierens verhieß. Und tatsächlich

-plötzlich war alles anders. Nie wieder abgebrannt, nie wieder abhängig von diesem psychoanalytisch so dubiosen Tauschmedium, das wer weiß wer nicht schon alles vor dir in der Hand und anderswo gehabt hat, endlich bargeldfrei, endlich - ein Mensch.

18,7 Millionen Kreditkarten kursieren in Frankreich. Noch beeindruckender ist der Umstand, daß ein großer Teil jener Plastikgeldbesitzer offenbar eben den Geldautomaten am Boulevard Barbe's benutzt, an dem ich meine Wundertaube ausprobieren wollte: 37 andere standen da Schlange an einem feuchten Sonntagmorgen, samt hungrig plärender Gören und sabbernder

Köter. Bargeld - einfach, schnell, bequem. Duftet es nicht irgendwoher nach Croissants? Gegen Mittag stand ich dann Auge in Auge mit der Maschine, einer von 13.000, die im Lande aufgestellt sind. „Führ‘ deine Karte ein“, flüstert es im Display. Im Rücken spürte ich die Blicke von einigen Dutzend Hunden, Kindern und Gestreßten. „Glup“ - die Karte verschwand in der Maschine, und eine guillotineartige Pforte öffnete sich. Wieviel? Jetzt hieß es, keinen Fehler zu machen. Wie bei Einstellungsgesprächen darf die Summe nicht zu niedrig und nicht zu hoch liegen. Freund Philippe hatte erst nach wochenlangem „trial and error“ herausgefunden, daß jeder - aus ihm unerfindlichen Gründen - höchtens 900 Francs abheben darf. Sobald er darüber hinaus ging, verweigerte die Maschine für den Rest des Tages die Kommunikation. Und mit ihr in unerschütterlicher Solidarität alle anderen Geldautomaten der Stadt. Also lieber nur 200 Francs. Peep, machte die Maschine und fragte nach dem Geheimcode. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde es ganz still, dann ein fernes Rasseln, und angeekelt spuckte das System die Karte wieder aus:

„Code inkorrekt“ - neuer Versuch nicht gestattet.

Eine harmlose, untypische Anekdote natürlich. Kreditkartenbesitzer sind in der Regel glückliche Menschen, wie jener Schalterbeamte im Blumenhemd, dem ich am nächsten Tag mein Versagen beichtete. „Monsieur, das ist völlig unmöglich. Sie müssen sich vertippt haben“, meinte er und lächelte wissend wie ein Zen-Jünger, der die Wahrheit geschaut hat und für den es keinen Schatten mehr im System gibt. Auch nach mehrmaligen, eigenhändigen Versuchen, die ebensowenig von Erfolg gekrönt wurden, lächelte das Blumenhemd weiter:„Ihre Geheimzahl muß falsch sein - das System macht keinen Fehler.“ Und sah, daß es gut war. Die Geheimzahl war richtig, das System perfekt: Das Paradox eines bis heute ausbleibenden Erfolges kann nur durch eine Art Heisenbergscher Unschärferelation erklärt werden.

Aber wozu auch Bargeld abheben? 480.000 Geschäfte akzeptieren in Frankreich Plastikgeld. An allen 48 Kassen eines „Hypermarktes“, in jeder Tankstelle, jeder Boutique stehen praktische Kartenlesegeräte, keine Kassiererin, kein Tankwart, der nicht

wüßte, wie mit geschicktem Abwischen am eigenem Hemd, auch die älteste Karte wieder dechiffrierbar würde. Wer hier, in den Tempeln des Konsums, mit Bargeld kommt, wird scheel angesehen: Wer Geld hat, hat bestimmt kein Geld.

Natürlich ist nicht jeder glücklich mit dem Untergang des Bargeldes. Aber es bleibt jenes existentielle Pläsier, weswegen gerade in Frankreich alles auf die Karte gesetzt wird: die Lust, nach vollzogenem Mahle nichts, aber auch gar nichts weggeben zu müssen. Nur die eigene, unveräußerliche Platikkarte übers bekleckerte Tischtuch zu schieben-und sie wenig später unverändert wieder zurückzuerhalten. Ein Hauch von Utopie, von „Jedem nach seinen Bedürfnissen“: Nehmen ohne zu geben, im sterilen Raum entmaterialisierten Tausches.

„Sag ich doch“, meint meine Freundin Marie-Jo und greift zu noch Höherem: „In postkollektiver Zeit wird selbst der Ware -Geld-Tausch zum Individualakt. Das letzte materielle Medium zwischen den Leuten ist unsichtbar geworden und hat sich in digitale Zeichen aufgelöst. Großartig: Monaden statt Moneten!“

Alexander Smoltczyk