DER ORALE TYPUS

■ Menschen im Wandel

Das ist ja nun Gott sei Dank auch fast schon wieder alles Vergangenheit: mit den Mauern und Schamgrenzen fallen schließlich auch die Sozialisationstypen, und so ist der noch vor wenigen Jahren topaktuelle Typ des „Oralen Flippers“ (nach der Taxonomie von Cousteau-Mitscherlich) mittlerweile fast völlig verschwunden. Und so war er (genau: er war nämlich meistens männlich) (setzerbemerkung. sezza):

Immer alles reinschieben (resp. „sich reinziehen“, wie es im Flipperjargon hieß), und dann durchs Leben schlingern (bzw. „herumflippen“, wie Flipper immer sagten). Zum Beispiel Ulli. Dem hatte seine Mutter noch mit vierzehn Jahren das Frühstück ans Bett gebracht. Das war natürlich jetzt im sanften Schoß resp. auf der schaumgummierten Kollektivlümmelfläche der WeGe nicht mehr drin („leider“). An die Stelle des morgendlichen mütterlichen Eierschaukelns trat dafür das ganztägige Omnipartizipationsprogramm. Also: Hatte jemand einen Erdbeerkuchen auf dem Teller, mußte der Gelegenheitshedonist sich gleich mindestens drei Süßfrüchte herunterpicken, natürlich nicht ohne die entsprechende orale Geräuschkulisse, die vom lauten Schmatzen (ja, das geht auch mit Erdbeeren!) über feuchtquatschendes Lippenlecken bis zum obligaten Rülpscontinuo und verbalen Wohlgefallensbekundungen aus der einfallsreichen „Lecker, lecker„-Serie reichte. Wenn jemand Geburtstag hatte, machte natürlich Ulli die Wunschliste, denn schließlich mußte vorausschauend entschieden werden, welche Schallplatten wir noch brauchen konnten. Ulli aß auch immer gerne Käse. Im KaDeWe kaufte er sich gigantische Räder - natürlich auf WeGe-Kasse - die er dann in fast meterdicken Scheiben vertilgte, während er den Fleischfreunden großzügig 100 Gramm Wurstanschnitt mitbrachte usw. Kurz: 20 Jahre früher wäre Ulli einfach ein ordinärer Schnorrer geworden, quasi ein zweiarmiger Bandit.

Diese Generation aber, so dozierte er einmal mit vollem Mund unter synchronem Nasebohren, diese seine Generation (jetzt ungefähr 38) käme einfach nach David Bowie wg. Major Tom und völlig losgelöst. Und mit Bereicherung oder gar Egoismus hätte das nichts zu tun, wenn die ganze Welt ein großes Freispiel ist.

grr