FRAU AM FLIPPER

■ Ein Tabu, das noch gebrochen werden muß

Es ist Donnerstagabend. In den verborgenen Straßen des Bezirks hängen noch die Abgase und die Schwüle des Tages. Es ist still. Zu spät, um einen netten Abend zu haben, zu früh, um in der Nacht zu versumpfen. Doch hinter einer unscheinbaren Tür wogen schon die Leidenschaften. In dem schmutzigen kahlen Raum sitzen vier Frauen an der Theke und ignorieren sich mit dem Barkeeper um die Wette. Aus dem Hinterzimmer dringt Geschrei, ab und an ist ein Klingeln und Hupen zu hören. Hier stehen langhaarige junge Männer. Sie stehen vor einem Flipperautomaten. Sie tragen enge Jeans und Cowboystiefel, lange und verwegene Haare. Sie fluchen, sie treten und schubsen den Flipper, sie schlagen mit der Faust auf die Glasplatte, sie schieben ihren schmalen Unterkörper stoßartig vor. Vor ihnen stehen Bierflaschen und Gläser voller Whiskey.

Ich bin auf der Suche nach den Frauen, die flippern. Es hieß, an diesem Ort seien sie zu finden. Es sind die, die schon an der Theke sitzen. Gitte, Erika und Mildred warten, daß das Gerät endlich frei wird. „Es dauert noch“, erklärt mir Erika. „Bis Mitternacht müssen wir noch warten.“ Dann erst wird sich das Lokal füllen, und die Männer werden ihren Platz verlassen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, daß sie hier sind, und um jemanden zu finden, der den Rest der Nacht mit ihnen verbringen wird. Zeit genug, um mit den Frauen an der Theke über das Flippern zu sprechen.

Gitte, Erika und Mildred haben sich zu einer Notgemeinschaft zusammengeschlossen. Alle drei sind leidenschaftliche Flipperinnen. Auf die Frage, warum sie nicht mit den Männern zusammen spielen, antwortet Erika: „Männer sind laut. Sie wollen kommen und siegen. Ich will spielen.“

Gitte sieht das nicht so eng. Sie ist die passionierte Spielerin par excellence. In exzentrischer Kleidung zieht sie nachts auch alleine los, um erst einmal ein paar Gläser Sekt zu stürzen. „Ich brauche das“, sagt sie. „Bier und Wein machen mich müde. Aber Sekt ist so speedig wie das Spiel selber.“ Allein bleibt sie nicht lange. Kaum in einem Lokal mit Spielmöglichkeit angekommen, hat sie sich einen männlichen Gegner gesucht und an das Gerät gezerrt. So verbringt sie Nacht um Nacht. Ein paar Abende der Woche hält sie aber ihren Freundinnen frei. Denn denen bereitet das Flippern noch Schwierigkeiten.

Erika hat da ihre ganz eigenen Probleme. Ihre knappen einssechzig stellen sie vor Schwierigkeiten, von den Männern keine Ahnung haben. „Flipper sind von Männern für Männer gebaut“, klagt sie. „Wenn ich mich an so ein Teil stelle, dann sehe ich erst einmal überhaupt nichts. Und dann spiegelt die Glasplatte. Mit meinen kurzen Armen kann ich den Flipper auch gar nicht richtig umfassen. Meine Bälle bleiben kraftlos.“ Warum setzt sie sich dann nicht auf einen Hocker? „Dann sind mir meine Knie im Weg.“ Denn auch Erikas Beine sind zu kurz, als daß der Flipper zwischen ihnen Platz finden könnte. So holt sich Erika nur Frust und spielt lieber mit Frauen, denn die können, von Gitte einmal abgesehen, „auch nicht spielen“. „Aus Mangel an Gelegenheit“ allerdings nur, wie Gitte versichert. Trotzdem zieht es Erika weiter an die blinkenden Geräte. „Hier kann ich mir die Zeit so herrlich nutzlos totschlagen.“ Mittlerweile glaubt sie von sich selber, sie sei süchtig. „Beim Flippern bin ich ganz bei mir.“

Mildred fand aus anderen Gründen zum Spiel. „Jahrelang bin ich in die Lokale gezogen und habe mich mit dem Rücken zur Wand gestellt und die Coole gemimt“, erzählt sie. „Irgendwann kam ich mir doof dabei vor. Beim Flippern geht mir jede Selbstkontrolle verloren. Seitdem ich flippere, kann ich ausgelassen sein und habe keine Hemmungen mehr, auch mal unangenehm aufzufallen.“ Trotzdem ärgert sie sich. Sie hat noch nie in ihrem Leben ein Freispiel geholt.

Als es Mitternacht wird, kommen die jungen Männer tatsächlich aus dem Hinterzimmer. Sie setzen ihre Flaschen an den Mund und gesellen sich zu den Gestalten, die sich mittlerweile hier eingefunden haben. Gitte, Erika und Mildred ziehen davon. Neben mir bleibt die Vierte im Bunde, Irmgard Tüchteln-Suchhart. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin arbeitet seit Jahren an dem Phänomen flippernder Frauen. „Frauen am Flipper sind in der Forschung, auch in der Frauen-Forschung, immer noch ein Tabu -Thema“, gibt sie mir Auskunft. Um nicht praxisfern zu arbeiten, brachte sich Tüchteln-Suchhart das Flippern selber bei. An einem dieser Abende lernte sie das Trio kennen und wurde eingeladen, es auf seinen nächtlichen Spielzügen zu begleiten.

Tüchteln-Suchhart machte dabei einige interessante Beobachtungen. „Wenn Frauen in der Gruppe unter sich flippern, werden sie in Ruhe gelassen. Die Männer schauen vorbei, und wenn sie merken, ihr Typ ist hier nicht gefragt, ziehen sie schnell weiter. Eine einzige Frau am Flipper dagegen ist Freiwild. Das hat Signalwirkung. Männer verstehen das als Einladung.“ Das sei der Grund, warum so gut wie nie eine Frau allein am Flipper zu sehen sei.

Frau Tüchteln-Suchhart interessiert sich vor allem für die Biographie von Gitte, Erika und Mildred, um von dort aus Rückschlüsse ziehen zu können, warum Frauen überhaupt flippern. Alle drei sind zwischen Mitte und Ende zwanzig und stehen im Berufsleben. Es handelt sich bei ihnen also nicht um sogenannte gescheiterte Existenzen, denen nichts anderes bleibt, als ihre Kontakte in den Kneipen zu suchen. Auffällig ist, daß alle drei im Rheinland wohnten, bevor sie nach Berlin kamen. Obwohl sie sich vorher nicht kannten, haben sie relativ schnell zueinander gefunden. „Das ist kein Wunder“, erklärt Tüchteln-Suchhart. „Im Rheinland waren sie es gewohnt, mit dem Glas in der Hand von Theke zu Theke zu ziehen. Das Nachtleben ist ihnen vertraut.“ Außerdem, und das war für Tüchteln-Suchhart entscheidender, bevorzugten alle drei Frauen in ihren Beziehungen Rockmusiker, Gitarristen, Sänger, Schlagzeuger. „Die Frauen brauchten solche Partner, um einen Ausgleich für ihr bürgerliches Leben zu finden. Beziehungen mit Rockmusikern versprechen Abenteuer, wildes Umherziehen.“ Und in solch einem Milieu ist es bis zum nächsten Flipper nicht weit. Hier müssen die ersten Kontakte mit dem Spiel entstanden sein. „Oder die Frau bewegte sich schon vorher in solch einer Szene um die Flipper herum, und da ist der Rockmusiker nicht weit.“ Irmgard Tüchteln-Suchhart ist sich über die Folge von Ursache und Wirkung noch nicht ganz schlüssig. Ein Volleyballverein reichte jedenfalls nicht aus, um im Kampf um den besseren Job aufgestaute Aggressionen loszuwerden und sich gleichzeitig von ihnen zu distanzieren. „Da sind ja die gleichen Leute wie im Büro auch.“

Also sind es doch wieder die Männer, die Frauen veranlassen, etwas zu tun oder es bleiben zu lassen, frage ich sie. So einfach sei das nicht. „Gitte, Erika und Mildred gehören der Generation von Frauen an, die nicht mehr wie wir mit der Frauenbewegung groß geworden sind. Für sie sind Forderungen eine Selbstverständlichkeit. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus. In Berufswelt und Beziehung ist die Frau immer noch benachteiligt.“ Hier nun muß der Flipper als Ersatz fungieren. „Es gilt, ein von Männern für Männer konzipiertes Gerät stellvertretend für die männliche Welt zu beherrschen, zu besiegen. Hinzu kommt der Ehrgeiz, den Männern zu zeigen: wir sitzen nicht mehr als angenehme Gesprächspartnerin auf dem Barhocker und lauschen interessiert Männer-Monologen. Sondern wir agieren selber. Die überschaubare und doch immer wieder für Überraschung sorgende Gemeinschaft eines Lokals steht stellvertretend für die Gesellschaft draußen.“

Ob sich Frau Tüchteln-Suchhart erklären könne, warum Gitte, Erika und Mildred ausgerechnet dieses trübe Loch zum Stammlokal gewählt haben, frage ich sie noch. Die Antwort ist denkbar einfach. „Der Flipper ist hier der Beste in der ganzen Stadt. Nirgendwo blinken so viele Lampen, ist ein Freispiel schon bei 500.000 Punkten zu gewinnen. Nirgendwo gibt ein Flipper so drollige Geräusche von sich. Außerdem kann man hier, in diesem abgetrennten Raum, unbemerkt vom Rest gewinnen oder auch wie Erika so oft, unbemerkt verlieren.“ Frauen urteilen in ihrer Wahl des Lieblingsflippers nicht anders als Männer. Der Flipper hier genieße bei beiden Geschlechtern einen gleich guten Ruf.

Einige Wochen später treffe ich Erika, Gitte und Mildred im gleichen Lokal wieder. Sie stehen am Flipper und fachsimpeln mit zwei langkotelettierten jungen Männern über die oberen Arme des Geräts. Die sind mittlerweile ausgeleiert. Der Ball läßt sich nicht mehr so schwungvoll in das linke Loch katapultieren. Von Irmgard Tüchteln-Suchhart ist weit und breit keine Spur. „Wir haben uns von ihr getrennt“, teilt mir Erika mit. „Sie hat nicht verstanden, daß das Ganze vor allem was mit Spaß zu tun hat.“

Caecilie

„Frau am Flipper - auch heute noch ein Tabu“ von Irmgard Tüchteln-Suchhart erscheint im Herbst im Diskurs Verlag, Paperback, 264 S., DM 24,