Ein Paß reicht nicht aus, um Jude zu sein

■ Der Antisemitismus in der Sowjetunion treibt viele Juden in die DDR / Im Aufnahmeheim Ahrensfelde gilt als „Abstammungsnachweis“ nur ein „Judenstempel“ / Nur die Jüdische Gemeinde Ost-Berlins darf Nachweise ausstellen

Ahrensfelde. Im Zentralen Aufnahmelager des Ministeriums für Inneres, in Ahrensfelde, sind momentan 108 sowjetische Juden untergebracht. Die ersten kamen vor rund fünf Wochen, seitdem werden es Woche für Woche mehr. Ein Ende der Zuwanderung ist nicht abzusehen, denn die von der national -chauvinistischen Pamjat-Bewegung organisierte, antisemitische Stimmung in der Sowjetunion hält an. In Ahrensfelde richtet man sich auf mehr Menschen ein. Vergangenen Mittwoch wurden die dort lebenden Rumänen in ein neues Heim nahe dem „Hessenwinkel“ bei Erkner gebracht, die Juden sind so in Ahrensfelde fast unter sich.

Im Unterschied zur Bundesregierung hat der Ministerrat der DDR schon vor Wochen entschieden, daß Juden aus der Sowjetunion aufgenommen werden und daß sie ein Bleiberecht erhalten. Zwei Probleme gilt es aber in der nächsten Zeit zu lösen. Zum einen müssen Wohnungen und Arbeit organisiert, zum anderen geklärt werden, wer eigentlich „Jude“ ist. Das klingt absurd, denn in der Sowjetunion werden die Juden als ein Volk, als eine „Nation“ und nicht als eine Glaubensgemeinschaft betrachtet. In den sowjetischen Pässen wird ausdrücklich die „jüdische Nationalität“ und nicht die Religionszugehörigkeit vermerkt. Maßgebend für die Eintragung ist die Geburtsurkunde. Die Paßeintragung sollte deshalb reichen um in Ahrensfelde Schlafplätze und Essen zu bekommen.

Aber das tut es nicht. Wer Jude ist, entscheidet der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR, beziehungsweise die Jüdische Gemeinde Ost-Berlin. Aufgenommen im Heim werden nämlich nur die sowjetischen Juden, die einen schriftlichen „Nichtariernachweis“, ausgestellt von der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburgerstraße, mitbringen. „Bescheinigung“ heißt beschönigend die Eintrittskarte in das Aufnahmelager. Der in Ahrensfelde für die Formalitäten zuständige Sachbearbeiter, Heym, beruft sich bei diesem Procedere auf eine zwischen der Regierung und dem Verband der Jüdischen Gemeinde geschlossene „Vereinbarung“.

Dieses Bescheinigungswesen, ausgehandelt durch die „Vereinbarung“ ist ein Unding, denn die Jüdische Gemeinde ist keine säkulare Institution und nicht alle Juden sind religiös. Noch unsinniger werden die einzig und alleine in der Oranienburgerstraße ausgestellten jüdischen Legitimationsausweise dadurch, daß es in der DDR zwei jüdische Gemeinden gibt. Die in der DDR aus der Sowjetunion ankommenden Juden müssen sich also, um sofortige Hilfe zu bekommen, nicht nur konfessionell bekennen, sondern sich obendrein noch für die „richtige“ Gemeinde entscheiden.

Sollten die bescheingungssuchenden Juden nämlich auf die Idee kommen, sich einen Abstammungsnachweis bei der zweiten jüdischen Gemeinde, der orthodoxen Adass Jisroel, zu holen, sind sie verloren. Entweder werden sie dann in Ahrensfelde gar nicht erst aufgenommen oder wieder an die frische Luft befördert.

Aku