„Die U-Bahn fuhr hier mit extremem Risiko“

Gespräch mit Michael Salzmann, der die bauliche Instandsetzung der Geister-U-Bahnhöfe in Ost-Berlin leitet U-Bahnverkehr lief in den letzten 28 Jahren mit hohem Risiko ab / Bis 2. Juli sollen die Bahnhöfe geöffnet werden  ■ I N T E R V I E W

Berlin. „Im Untergrund in die Vergangenheit“ überschrieb die taz am letzten Dienstag eine Reportage aus den Geisterbahnhöfen im Ostteil der Stadt. Unzufrieden über den Beitrag, kam tags darauf Michael Salzmann in die Redaktion. Der Bauingenieur bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVB) leitet die bauliche Instandsetzung der Strecken und Bahnhöfe, die seit der Mauerschließung im Dunkeln lagen. „Kreuzgefährlich“ sei es, da unten rumzuturnen.

taz: Welche Gefahren drohen Untergrundwanderern?

Michael Salzmann: Nach wie vor fahren ständig Züge, die Stromschienen stehen unter hoher Spannung.

Nach 28 Jahren sollen die Geisterbahnhöfe wieder für den Stadtverkehr genutzt werden. Die ganze Zeit über blieben sie den Blicken der Ostberliner verschlossen, die Westberliner fuhren nur hindurch. Welche Relikte der „Grenzsicherung“ haben Sie gefunden?

Ich war ziemlich entsetzt, mit welchem Aufwand die „Grenzsicherung“ betrieben wurde. Jeder Bahnhof hatte seinen Knastraum, ohne Licht, und gemauerte Postenstände mit Schießscharten. Überall waren Sicherungsdrähte gespannt. Zur Streckenüberwachung gab es außer Riesenhohlspiegeln auch Videokameras. Die Bahnsteigkanten waren ausgebrochen, in den Gleisen steckten Speerspitzen. Besonders schlimm ist, daß die Notausgänge zugeschweißt waren. Auf diesen Strecken ist die U-Bahn also 28 Jahre lang mit extremem Risiko gefahren. Wenn da mal zwei Züge zusammengerammelt wären...

Außer diesen perversen Maßnahmen hat sicher auch der Zahn der Zeit ganz schön genagt.

Die Räume für das Zugpersonal sind total vergammelt. Von den Wänden muß die alte Farbe abgestoßen und neue draufgebracht werden. Auf manchen Bahnsteigen ist der Asphalt kaputt.

Welche Strecken und Bahnhöfe sind das eigentlich, die jetzt instandgesetzt werden?

Zwei Linien. Zum einen die U6. Hier geht es um die U -Bahnhöfe „Stadion der Weltjugend“, Nordbahnhof, Oranienburger Tor, Friedrichstraße, Französische Straße und Stadtmitte. Zum anderen die U8, wo der Bahnhof Bernauer Straße von Westseite zu begehen ist. Rosenthaler Platz wurde schon geöffnet, folgen werden noch die Weinmeisterstraße, Alex und Heinrich-Heine-Straße. Der Bahnhof Jannowitzbrücke zwischen beiden letzteren ist ebenfalls seit längerem zugänglich.

Wo liegen am Alex die Eingänge?

Zwischen der oberen Linie Pankow - Otto-Grotewohl-Straße und der unteren Strecke Alex - Hellersdorf. In der Nähe des Blumenladens, wo Fliesen imitiert sind.

Wann werden alle Bahnhöfe offen sein?

Ziel ist der 2. Juli, aber ohne Garantie. Dazwischenkommen kann immer was.

Was ist bis dahin noch zu tun?

Wir legen neue Elektrik oder setzen die alte instand. Die Bahnsteigkanten müssen neu eingesetzt werden. Das schwierigste sind die Abbrucharbeiten. Da überall Mauern gezogen waren, haben wir große Schutthaufen zu beseitigen.

Wieviel Leute arbeiten daran?

Rund 150, alle möglichen Gewerke, Maurer, Maler, Schlosser, Elektriker.

Was wird die Instandsetzung kosten?

Geplant sind 2,7 Millionen Mark, aber das wird wohl nicht reichen.

Woher kommt das Geld?

Aus dem BVB-Reparaturfonds. Wir hatten früher rund 4 Millionen jährlich zur Verfügung, aber höchstens ein Zehntel davon wurde ausgenutzt.

Woran lag das?

An der üblichen Bilanzierungspraxis. Wir hatten Schwierigkeiten, Betriebe zu finden, die für uns arbeiten, weil deren Aufträge von ihren Kombinatsdirektoren bestimmt wurden.

Das hat dem Ostberliner U-Bahnnetz, jetzt mal abgesehen von den Geisterbahnhöfen, bestimmt nicht gerade gut getan?

Wir haben total auf Substanz gelebt, die nun ziemlich verschlissen ist. Erst wenn's gar nicht mehr anders ging, wurde etwas unternommen.

Aber in den letzten Jahren wurden doch ein paar Bahnhöfe, wie Klosterstraße und Märkisches Museum, rekonstruiert?

Das geht auf einen SED-Politbürobeschluß von 1983 zurück. Da muß irgendeiner von denen mal zufällig U-Bahn gefahren sein.

Interview: Susanne Steffen