Ägyptische Plagen der Neuzeit

Rundum-Bildungsreise RAMSES, alles inclusive  ■ Cletus Ossing

„Und sie kamen über ganz Ägyptenland und ließen sich nieder an allen Orten in Ägypten, so sehr viel, daß zuvor desgleichen nie gewesen ist...“ (2. Mose, 10. Kap., V. 14)

Tausendmal gesagt, wird es mit jeder Wiederholung richtiger: Touristen sind wie Heuschreckenschwärme, die alles kahlfressen und dann weiterziehen. Für Ägypten ist noch nicht heraus, ob der Tourismus nicht eine verspätete elfte biblische Plage ist. Nach einem Absinken der Touristenzahlen durch das Wegbleiben der Nordamerikaner (die sich mal wieder gefährdet fühlten), boomt der Reiseverkehr, die amerikanische Lücke ist satt aufgefüllt durch Bundesdeutsche.

Und Bildung ist angesagt. Nein, zu den Neckermännern will heute kein anständiger Mensch mehr gehören. Prompt haben die Reiseunternehmen die Illusion eines „sanften Tourismus“, der sich an den jeweiligen Gegebenheiten anpaßt, in zugkräftige Angebote umgesetzt. Urlaub ist eine Ware, folglich kann man auch eine Bildungs- und Kulturreise kaufen. Das heißt: Man braucht sich nicht groß zuhause in Bücher und Historie zu vertiefen, dafür gibt's den Reiseleiter, der die wichtigsten Fakten parat hat. Den Rest speichert man mit dem Fotoapparat. Der ohnehin alberne Vorwurf der sogenannten „Konsumhaltung“ trägt hier nicht: Eine Ware kauft man gerade zu dem Zweck, sie zu konsumieren. „Ramses“ auf Reisen

Beispielsweise „Ramses“: So heißt eine einwöchige Rundreise durch die Geschichte Altägyptens. Mit dem Flieger von Hamburg beziehungsweise Düsseldorf nach Assuan, von dort den Nil per Bus und Eisenbahn 'rauf nach Kairo, gut fünf Jahrtausende in sechs Tagen.

Assuan war Altägyptens südliche Grenz- und Garnisonsstadt am flußuntersten Katarakt, weil der Nil bis hierher schiffbar war. Assuan gilt als die afrikanischste Stadt Ägyptens und ist ein Winterkurort. Trockene, klare Luft und milde Temperaturen haben schon den Aga Khan, die Verkörperung des jet-set in den späten 50ern, hier überwintern lassen. Jetzt tut er das in seinem Mausoleum oben auf dem Westufer des Nil, neben der Villa der Begum.

Die Bewaffnung der Reisegruppe besteht aus zwei Videokameras, einem Feldstecher und circa 30 Fotoapparaten verschiedener Kaliber. „Ztttck-Wriiiii!!“, die kleinen Fotoapparate sind die schlimmsten, die machen alles vollautomatisch, sogar das Weiterspulen. Ein Möwenschwarm, organisiertes Konfetti vor blauem Himmel, zieht erschreckt vor dem elektrischen Lärm in einer Kurve davon.

Beim Abendessen ist der Muezzim, der bereits um fünf Uhr morgens zum Gebiet rief, ein Klassethema. Insbesondere „der“ Islam, Khomeini und das „Mittelalter“ werden damit in Verbindung gebracht. Es nützt nichts, daß der Reiseleiter näher differenziert Auskunft über das Verhältnis von Religion, deren Mißbrauch zu demagogischen Zwecken und das moderne religiöse Ägypten gibt: „Kein Wunder, daß die zu nix kommen, wenn die immer nur beten“, lautet das Verdikt eines jungen, aber durchaus schon fertigen Schnösels. Stausee und Atombombe

Assuan ist vor allem aber der Stausee. Der Sadd-el-Ali-Damm versorgt ganz Ägypten mit Strom, über 80 Prozent der Elektroenergie kommen von hier. Zehnmal so groß wie der Bodensee, hat er Dürrekatastrophen wie in der Sahel-Zone verhindern können. Ägypten lebt vom Nil. Von einer Landfläche von zehn Millionen Quadratkilometern sind nur rund 3,5 Prozent Kulturflächen, der Rest ist Wüste. Durch den Stausee kann in Ägypten jährlich zwei- bis dreimal geerntet werden, für den Lebensstandard der 50-Millionen –Bevölkerung ein wichtiges Faktum.

Die ökologischen Folgen eines solchen Großprojektes waren in der Zeit des „arabischen Sozialismus“ ebenso wenig Thema wie in der technomanen Wirtschaftswunderwelt Europas. Der Schlamm der jährlichen Nilflut fehlt nun und muß durch Kunstdünger ersetzt werden. Mäuse und Ratten haben sich längs des Flusses enorm vermehrt. Durch die Wasserlast und deren Druck auf die Erdkruste gab es schon kleinere Erdbeben, und es bildeten sich bereits feine Risse im Damm. Ein Bruch des Dammes würde innerhalb eines halben Tages das ganze Niltal bis Kairo überschwemmen. Sofort melden sich die Mini-Genschers der Gruppe: „Der“ Israeli habe ja „die Bombe“ und werde im „nächsten Krieg“ diese – zack! – auf den Damm schmeißen...

Heroisch versucht unser Reiseleiter, die Strategen auf die genügend dramatische Realität hinzuweisen: Flußabwärts bis zu den Pyramiden ist infolge des Dammbaus das Grundwasser salziger geworden und bedroht Tempel, Pyramiden und Sphinx. Und schließlich kann man ja nicht alle Tempel einfach verlegen, wie man es mit dem Tempel von Philae oder Abu Simbel getan hat. Daß rund 100.000 Nubier ihre Dörfer verlassen und nördlich vom See neu angesiedelt werden mußten, ist schon fast nur noch eine Anmerkung, die von der Gruppe „Ramses“ kaum zur Kenntnis genommen wird.

Kaum jedoch hören wir, daß der Damm von Deutschen geplant und von Russen gebaut wurde, so schwirren Kommentare durch den Bus wie „viel mehr internationale Zusammenarbeit“, „Rußland und Deutschland“, „bestes Mittel gegen Krieg“ usw. usf. Mit Perestroika und Mauersturz scheint alles möglich. Vergessen beziehungsweise nie gewußt, daß die Bundesrepublik seinerzeit zwar den Damm planen ließ, aber zugleich auch vorneweg mit dabei war, als der Westen die Finanzierung platzen ließ, um Nasser unter Druck zu setzen. Unser Reiseleiter ist allerdings auch höflich genug, nicht darauf hinzweisen. Hansdampf in Luxor

Die Stadt, die die deutlichsten Schrammen durch den Tourismus verpaßt bekommen hat, ist Luxor. Die Stadt wimmelt von Leuten in häßlichen Shorts, „Free!“-T-Shirts und Sandalen mit Socken (das sind meistens Deutsche). Entsprechend reagieren die Einwohner: Die Atmosphäre ist um einiges aggressiver als in Assuan. Der Bazar behandelt die Touristen so, wie es sich gehört: als Geldquelle. Kein gemütliches Verhandeln, sondern fast bösartiges Gefleische. Protzige Geldsäcke aus dem Okzident haben hier die Sitten gehörig versaut.

Im Hotel, im Reisebus, im Museum wird jeder Tourist mit ausgewählter Höflichkeit behandelt, denn Tourismus ist gleich Devisen. Touristen sind scheues Wild und wollen zart umhegt werden, sonst bleiben sie (und ihr Geld) weg. So kann sich jeder Sanitärkeramik-Mittelständler hier einbilden, er sei tatsächlich etwas Besonderes und nicht die (im Normalfall durchaus arschgesichtige) Verkörperung von Devisen. Ein schönes Beispiel dafür führt uns im „Tal der Könige“ ein auch physiognomisch sehr kamelmäßiger Hobby –Ägyptologe vor, der partout darauf besteht, seinen FreundInnen den Reiseführer zu spielen, um die lächerlichen 20 ägyptischen Pfund (circa 15 DM) für einen „silent guide“ zu sparen.

„Silent guide“, ein Fremdenführer, der fürs Schweigen bezahlt wird; die ägyptischen Vorschriften erlauben, völlig korrekt, eigentlich nur Ägyptern Fremdenführungen. Der häßliche Deutsche muß mit aller Gewalt sein (Un-) Recht durchsetzen und blockiert so für erkleckliche Zeit den Eingang zu einem Grab, vor dem ein paar hundert Leute stehen und warten. Schließlich siegt teutonische Plattköpfigkeit über ägyptische Höflichkeit.

Das ist ein nettes Alibi für Gruppe „Ramses“: Wir sind ja nicht so. Daß auch wir uns mit rund 30 Leuten in ein enges Grab zwängen, drinnen schwitzen und atmen und so mit unserer Feuchtigkeit unseren Teil an der Zerstörung von 4.500 Jahre alten Kulturstücken beitragen, ist allerdings nicht so sehr bewußt. Auch muß unbedingt ein Idiot mit dem Fotoblitz rumfunken, was neben Feuchtigkeit und Angrabschen die Hauptursachen für die Zerstörung der Farben im Grab und daher verboten ist. Selbstverständlich gibt es auch den Pfiffikus, der unbedingt die zehn Pfennige für das Knipsen nicht abdrücken wollte. Daß sein Obolus ihm nicht wehgetan hätte, andererseits aber ein angemessener Beitrag für die Erhaltung der Denkmäler sein könnte, kann in seinem Wüstenrot-Gehirn nicht zusammenpassen. In jedem Reiseführer steht ja diesbezüglich auch, daß man sich die Fotogebühren ja nicht gefallen lassen und bloß kräftig feilschen solle, dies sei „orientalischer Lebensweise“ adäquat.

Im Nebenbei erledigt sich hier auch noch die Illusion eines „sanften Tourismus“: Mehrere Millionen Menschen pro Jahr lassen sich nicht sanft durch die viereinhalb Jahrtausende alten Gräber schleusen. Alter und neuer Imperialismus

Daß die Tourismus-Länder sich verkaufen müssen, sei die moderne Form des Imperialismus. Es wird bei dieser Allerweltswahrheit schnell übersehen, daß der klassische Imperialismus auch nicht von Pappe war: Seit biblischen Zeiten wurden Ägyptens Heiligtümer und Kulturdenkmäler geplündert. Alle Obelisken Roms stammen aus Luxor und dem Karnaktempel. Von Franzosen und Briten erobert, wurde die letzten Obelisken noch im vorigen Jahrhundert nach Paris und London verschifft. Kolonien waren und sind eben zur beliebigen Bedienung da, und die Größe der imperialen Nation läßt sich am besten ausdrücken durch Diebstahl kostbarer Souvenirs aus den eroberten Ländern. Das Grab Tut-Ench –Amons, erst 1922 von zwei Briten entdeckt, Carter und Earl of Carnarvon, war das erste nicht geplünderte Pharaonengrab, vollgestopft mit Reichtümern und Kultbeigaben. Als nun in den Achtzigern dieses Jahrhunderts in einem geheimen Wandtresor des Earls beträchtliche Mengen antiken Edelmetalls gefunden wurde, war auch sofort klar, woher das kam. Der distinguierte Adlige hatte ganz plebejisch geklaut und befand sich damit in der besten Tradition seiner Nation: „Proud to be British!“ (M. Thatcher). Die anderen waren und sind auch nicht besser, Nofretetes Kopf ist in Berlin und nicht in Kairo.

Was auch seine guten Seiten hat: Die Museen in den europäischen Hauptstädten waren, weil reicher, auch besser in der Lage, die antiken Schätze zu restaurieren. Und ohne die in Napoleons Invasionsarmee von 1798 mitreisenden Gelehrten wäre die Ägyptologie als Wissenschaft seinerzeit nicht auf die Füße gekommen.

Was durch diese regelrechten Bilderbuchforscher des vorigen Jahrhunderts an Aufzeichnungen aller Art und Form aufgehäuft wurde, ist heute selbst schon wieder Historie (vgl. Buchtip unten). In jedem Tempel findet man allerdings auch mit Jahreszahl eingeritzte Forschernamen auf den Säulen, meistens ganz oben am Capitel. Das zeugt nicht von Kletterkünsten, sondern davon, daß die Bauwerke großteils bis dort oben hin voll hingewehtem Wüstensand waren. Sportlichkeit beweist dagegen der „Ramses“-Fotofachmann mit vielen Kilogramm mittelmäßiger Objektive, der jede Gelegenheit nutzt, eine besonders tolle Perspektive zu finden und dabei auf irgendwelchem abgezäunten Gelände archäologischen Schaden anrichtet. Von Perlen und Säuen

Es soll kein falscher Eindruck entstehen. Natürlich ist solch eine Rundreise immer noch besser als das Rumhocken in Betonburgen am Strand mit Disco. Auch ist das Bemühen, sich kulturell den Landesgewohnheiten anzupassen, in einer solchen Reisegruppe sichtbarer als beim Proletariat auf Klassenfahrt an der Costa del Sol. Aber man soll sich auch nichts vormachen über den Charakter solcher Reisen.

Die eigentlich bewundernswerten Menschen sind die ReiseleiterInnen. Die durchweg studierten ÄgyptologInnen (Fremdsprache im Zweitfach) mit hervorragenden Manieren stehen mit jeder neuen Reisegruppe, die sie zu betreuen haben, erneut vor dem gleichen Dilemma. Nerven wie Überseekabel sind erforderlich, das ist einleuchtend: Mit solch einer pharaonischen Geduld faulen Warenkonsumenten, die noch nicht einmal einen Reiseführer in die Hand genommen haben, ein Stück der Geschichte und Kultur Ägyptens beizubringen, das muß anstrengender sein, als Wüstensand von West nach Ost nach West zu schaufeln.

P. A. Clayton: „Das wiederentdeckte alte Ägypten in Reiseberichten und Gemälden des 19. Jahrhunderts“, Gondrom –Verlag, 1987