Armenische Führung ruft zur Ruhe auf

Vor den Wahlen am Samstag pfeift die Armenische Gesamtnationale Bewegung die armenischen bewaffneten Freischärler zurück / General wirft armenischer Regierung Untätigkeit gegen kriminelle Aktivitäten vor  ■  Aus Moskau K.H. Donath

Nach dem Blutvergießen am vergangenen Wochenende in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens, scheint sich die Lage zumindest äußerlich beruhigt zu haben. Offensichtlich hat der Aufruf der Armenischen Gesamtnationalen Bewegung (AGB) vom Montag Erfolg gezeitigt. Aschot Manutschabjan, Vorstandsmitglied der AGB, hatte sich über das Fernsehen an alle Armenier gewandt, nicht mehr bewaffnet auf die Straße zu gehen. Keiner hätte das Recht Selbstjustiz zu üben. „Alle müssen einsehen, daß dies zu neuen Tragödien führt.“

Die AGB und andere informelle Gruppen, mutmaßte die 'Komsomolskaja Prawda‘, haben kein Interesse an einer Zuspitzung der Lage, da am Sonntag Nachwahlen zum Obersten Sowjet Armeniens stattfinden, für die sie sich bisher gute Chancen ausrechneten.

Trotz der äußeren Ruhe bleibt die Frage nach den Machtverhältnissen in Armenien offen. Die lokale Jugendzeitung 'Avantgard‘ fragt auf ihrer Titelseite: „Wer übt heute eigentlich die Macht in Eriwan aus - sind es zivile, militärische, offizielle oder informelle Kräfte?“ Und „wie lange wird das Leben noch nach der Devise ablaufen, lieber schlechter als besser?“ Als ein Wink mit dem Zaunpfahl an die desolate Führung der KP Armeniens ist es wohl zu werten, wenn die Regierungszeitung 'Iswestija‘ diese Fragen aufgreift und abschließend kommentiert: Vor einer Beantwortung dieser Fragen gibt es kein Ausweichen.

Kurz zuvor hatte Generaloberst Schatalin, Chef der Truppen des Innenministeriums der UdSSR, die Regierung und die Rechtsorgane der Republik für das Blutvergießen verantwortlich gemacht. Im Umgang mit den illegalen bewaffneten Einheiten hätten sie Fahrlässigkeit an den Tag gelegt und dem Umstand kaum Beachtung geschenkt, daß die Einheiten mit Waffen auf gestohlenen Fahrzeugen durch die Stadt patrouillierten.

Ohne eine Entscheidung der armenischen Regierung könnten sich die Truppen des Innenministeriums nicht in die Vorgänge einschalten. Ein Treffen zwischen ihm und einem Vertreter der Aufständischen war zuvor ergebnislos verlaufen. Für Schatalin sind Aufständische und AGB ein und dasselbe.

Unter der Überschrift „Hetzer“ in der Armeezeitung 'Krasnaja Swesda‘ führte er am Wochende aus: Feindseligkeit gegenüber der Armee sei verständlich, weil es jetzt eine grundlegende Kraft gebe, die einen maßlosen Nationalismus unterstütze. Als Beleg dafür zitierte die Zeitung die öffentliche Äußerung eine Führers der AGB, der die Armenier aufgefordert hatte, zu „entscheidenden Taten überzugehen“. Das Ziel der Unabhängigkeit könne nur, so wurde der Sprecher wiedergegeben, mit der Waffe in der Hand erreicht werden.

'Tass‘ meldete, nach Berichten des Innenministeriums der UdSSR hätte es in den zurückliegenden Monaten fast täglich Überfälle bewaffneter Einheiten auf grenznahe Siedlungen gegeben, die nur das Ziel verfolgten, Waffen zu erbeuten. „Immer häufiger unternehmen armenische Extremisten kriminelle Aktionen auf eigene Faust.“