Bhutto in Bedrängnis

Talat Aslam, Herausgeber der politschen Wochenzeitschrift 'Herald‘, zu Auseinandersetzungen zwischen Sindhis und Mohajir in der pakistanischen Sindhprovinz  ■ I N T E R V I E W

Unbekannte Täter haben am Donnerstag in der pakistanischen Hafenstadt Karachi einen vollbesetzten Bus angehalten und wahllos 23 Menschen getötet, 30 weitere Insassen wurden verletzt. Allein seit Sonntag kamen bei den blutigen Auseinanderssetzungen zwischen der Volksgruppe der Mohajirs und den alteingesessenen Sindhis 151 Personen ums Leben. Ministerpräsidentin Bhutto verurteilte den Busüberfall als „heimtückischen Akt“ und erklärte den von „Feinden im In und Ausland angeheuerten Plünderern den totalen Krieg“.

Frau Bhutto hatte zuvor wegen der „innenpolitischen Situation“ ihre geplante Reise in sechs Golf-Staaten abgesagt, wo sie für die Belange Pakistans im Kaschmirkonflikt werben wollte.

taz: Am Donnerstag waren in Karachi den fünften Tag hintereinander Schüsse zu hören, wird Frau Bhutto das Kriegsrecht verhängen?

Talat Aslam: Bis Donnerstag hatte jeder, ja sogar die Fernsehanstalten damit gerechnet, daß Frau Bhutto das Kriegsrecht verhängen und die Sindh-Provinz Islamabad unterstellen werde. Vorerst ist jedoch nur die Zahl der Militärpatrouillen erhöht worden.

Welche Rolle spielt die Partei der Mohajir, die MQM, bei den Gewalttätigkeiten?

Die MQM ist nicht nur hochorganisiert, sondern auch stark bewaffnet. Sie behauptet, daß sich die Razzien und Hausdurchsuchungen ganz gezielt gegen ihre Mitglieder richten. In den Wohnvierteln der Mohajir, der nach der Teilung des Subkontinents 1947 zugewanderten Muslime, hat die MQM auch die Merhheit. Dennoch verfügt die pakistanische Volkspartei PPP über eine Zweidrittelmehrheit in der Provinz. Die Anhängerschaft der MQM konzentriert sich aber auf die urbanenen Zentren. Für die PPP, die ihre Anhänger vor allem auf dem Land rekrutiert, wird es deshalb zunehmend schwieriger, den Sindh zu regieren.

Weshalb fühlen sich die Mohajirs diskriminiert?

Die Mohajirs gehören der städtischen Mittelschicht an, sind höher qualifiziert und halten sich für fortschrittlicher als die ortsansässigen Sindhis. Schon vor dem Exodus 1947 gehörten sie in Indien zur städtischen Bevölkerung. Bislang waren sie in Verwaltung und Militär sogar vergleichsweise überrepresentiert. Seitdem aber die traditionelle Sindh -Partei, die PPP wieder an der Macht ist, fürchten sie um ihre Privilegien und Arbeitsplätze.

Wie lange wird sich Bhutto noch halten können?

Der Sindh ist die einzige Provinz, in der die PPP die Mehrheit hat. Wenn Frau Bhutto nun auch hier die Provinzregierung absetzen und Islamabad unterstellen muß, verliert sie ihre letzte Hausmacht; schlimmer noch, daß die Menschen allmählich den Glauben an die Demokratie verlieren. In der Opposition hatte Frau Bhutto immer versprochen, im Sindh Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, sobald sie an der Macht ist, seither hat sich aber nichts geändert.

Interview: Simone Lenz