Streit um deutsche Soldaten

Beim Washington-Gipfel noch keine sichtbaren Fortschritte bei zentralen Fragen  ■  Vom Gipfel Andreas Zumach

Deutschland mußte warten auf dem Gipfel zu Washington. Gestern wollten die Präsidenten Bush und Gorbatschow bei ihrem Treffen eine Reihe von Verträgen zu diversen Themen unterzeichnen. Die Diskussion über das - neben der Litauen -Frage - zentrale Thema der Vereinigung Deutschlands und der Neuordnung Europas sollte den heutigen dritten Tag des Gipfels bestimmen.

Zuvor hatte der „summit“ weder erkennbare Fortschritte in der umstrittenen Frage einer deutschen Nato -Vollmitgliedschaft gebracht noch hinsichtlich der Abrüstung konventioneller Streitkräfte. Die Unterzeichnung von 17 Abkommen zur Rüstungskontrolle sowie zur technologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit - von der Vermehrung der Flugverbindungen zwischen beiden Ländern bis zum Kulturaustausch - war für Freitag nachmittag (Ortszeit) vorgesehen.

Gorbatschow legte am Donnerstag einen Plan für eine neue europäische Sicherheitsstruktur auf der Basis der 35 KSZE -Staaten vor. Kernpunkt des Plans ist die Bildung eines „Europäischen Rats“ der 35 Staats- und Regierungschefs. Bush äußerte sich ablehnend und beharrte auf der Nato als Grundpfeiler einer Sicherheitsstruktur für Europa.

Die Frage einer deutschen Nato-Vollmitgliedschaft übergaben die Präsidenten ihren Außenministern zur „Detailberatung“. Schewardnadse und Baker treffen sich dazu während des bis Sonntag dauernden Gipfels und möglicherweise kommende Woche in Kopenhagen. „In dieser Frage entwickelt sich etwas“, erklärte Gorbatschow nach den ersten beiden Gesprächsrunden am Donnerstag abend. Mitglieder beider Delegationen äußerten jedoch gegenüber der taz die Einschätzung, daß in dieser Frage - wie bei den Wiener VKSE-Verhandlungen vor dem Moskauer KPdSU-Parteitag Anfang Juli und dem gleichzeitig stattfindenden Nato-Gipfel - nicht mit einer Einigung zu rechnen sei.

Nach einer telefonischen Intervention von Bundeskanzler Kohl bei Bush traten US-Offizielle Spekulationen über eine angeblich beabsichtigte „Singularisierung“ Deutschlands entgegen. Nach einen Bericht der 'Washington Post‘ war der Eindruck entstanden, Bush wolle Gorbatschow eine verbindliche Zusage für eine Begrenzung ausschließlich deutscher Truppen im Rahmen einer zweiten Wiener VKSE-Runde geben. „Die Deutschen haben eine paranoide Furcht vor Singularisierung“, erklärte ein hoher US -Regierungsvertreter. „Deswegen darf man nicht über Begrenzungen für die Bundeswehr reden, sondern nur über ein VKSE-Abkommen, durch das die Truppen aller Staaten begrenzt werden - einschließlich der deutschen.“

Gedacht wird nach Informationen eines US-Mitglieds der sowjetisch-amerikanischen VKSE-Arbeitsgruppe gegenüber der taz an die Vereinbarung von Gesamtobergrenzen für Truppen in Zentraleuropa, an denen die einzelnen Staaten jeweils einen bestimmten maximalen Prozentanteil erhalten sollen. Ein innerwestlicher Konflikt besteht darin, daß Bonn eine Ausweitung der - nach bisherigem Verhandlungsstand die BRD, die Beneluxstaaten und Dänemark umfassenden - westlichen Zentralzone auf Frankreich verlangt, was Paris entschieden ablehnt. Siehe auch Seite 9