Das „Tacheles“ ist den Skins ein Dorn im Auge

■ Multinationales Kulturzentrum in Berlin wurde am Wochenende zur Zielscheibe eines brutalen Überfalls von Neonazis / Mit „Sieg Heil!„-Rufen, Eisenstangen und Mollis gegen die Besucher eines Cafes in dem besetzten Haus / Auseinandersetzungen auch im Stadtbezirk Friedrichshain

Berlin (taz) - „Die Skins kommen!“ Dieser Ruf schreckte die knapp dreißig Besucher des Kunsthauses „Tacheles“ in der Nacht von Freitag auf Samstag auf, kurz nachdem es zwölf geschlagen hatte. Für die Künstler, ihre Bekannten und einige Gäste, die sich im Cafe des besetzten Gebäudes Oranienburger Straße /Ecke Friedrichstraße aufhielten, war es nicht der erste derartige Überfall. Eilends schlossen und verbarrikadierten sie die Stahltür zum Hinterhof, einem Schutt- und Baugelände, wo sich die Angreifer sammelten. Wie ein Augenzeuge berichtete, gelang es dem knapp fünfzig Personen starken Trupp jedoch, die Tür aufzubrechen. Sie stürmten mit Eisenstangen, Baseball-Schlägern, Knüppeln und Molotow-Cocktails bewaffnet und unter Rufen wie „Sieg Heil!“ oder „Hooligans!“ in den Raum. Die Anwesenden rannten durch den Vorderausgang auf die Straße.

Einem jedoch gelang es nicht zu entkommen. Er flüchtete in einen Abstellraum, wo er schwere Verbrennungen erlitt, als die Angreifer Mollis hinter ihm herwarfen. Der junge Maler droht nun zu erblinden. Eine Frau schützte sich mit dem Arm, als einer der jungen Männer sie mit einer Eisenstange auf den Kopf und bewußtlos schlug. Sie erlitt eine leichte Schädelverletzung; ihr Daumen zersplitterte. Zwei weitere Personen wurden ebenfalls verletzt. Bei den Angreifern, so der Augenzeuge weiter, handelte es sich um junge Männer zwischen 20 und höchstens 25 Jahren in der für Skins typischen Kluft: Bomberjacken, Springerstiefel, Glatze.

Und die Polizei? Nach Angaben des Zeugen standen zu Beginn des Überfalls zwei Fahrzeuge mit vier Polizisten vor dem Gebäude, die jedoch nicht eingriffen und sichtlich Angst gehabt hätten. Er selbst habe sie fünfmal aufgefordert, den Schwerverletzten in ein Krankenhaus zu bringen, was dann schließlich auch geschehen sei. Die Polizisten hätten sich immer wieder dafür entschuldigt, daß sie nichts tun könnten. Schließlich rückte Verstärkung an, 15 Wagen der Volkspolizei und Bereitschaftspolizei, die erst in ganz Berlin hätten zusammengezogen werden müssen, wie es im Präsidium hieß. Als sie anrückten, waren die Angreifer freilich schon wieder auf dem Heimweg. Vier oder fünf Personen wurden festgenommen. Gegen sie läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen „Rowdytums“.

Der Überfall war bereits der vierte auf das multinationale Kulturzentrum in der Oranienburger Straße. Die Nutzer des Hauses hatten damit gerechnet, am Samstag nach dem Pokalfinale Schwerin gegen Dresden erneut zur Zielscheibe von Angriffen zu werden. Während des Spiels wurden zwar zwei Personen festgenommen, auch tauchten organisierte Trupps im Stadion auf und lieferten sich Katz- und Maus-Spiele mit der Polizei, doch kam es im Anschluß nicht zu Auseinandersetzungen. In Friedrichshain allerdings sammelten sich in den Abendstunden zwei- bis dreihundert ebenfalls mit Baseballschlägern und Stangen ausgerüstete vermummte Skins und lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei, die zum Schutz der besetzten Häuser in der Mainzer- und Kreutziger Straße eingesetzt worden waren. Nach Angaben des Polizeipräsidiums wurden dreißig Personen festgenommen, darunter zwei Bundesbürger und ein Westberliner. Gegen drei wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Als Motiv hätten die 16 bis 19jährigen angegeben, sie fühlten sich zu den Faschos hingezogen und würden deshalb gegen die autonomen Linken vorgehen. Die Besetzer der beiden Häuser hatten nachmittags ein Straßenfest veranstaltet, für das mit zahlreichen Plakaten geworben worden war.

„Das größte Drama ist, daß man nicht weiß, was man machen soll“, kommentierte der Zeuge des Überfalls auf das Kunsthaus Tacheles die Überfälle der Skins. „Man kann nicht eine Frau mit einem Eisenrohr schlagen, in der Annahme, daß nichts passiert“. Er rechnet damit, daß sich die Leute in den besetzten Häusern gegen derartige Angriffe zur Wehr setzen und nun zu den „härtesten Mitteln der Verteidigung notfalls auch Eisenstangen und Mollis“ greifen werden.

b.s.