„Der gewöhnliche Rohling taugt nichts“

■ Michael Steinfeld (26), Tipp-Kick-Champion, zu den Geheimnissen des Spiels auf höchstem Niveau

taz: Herr Steinfeld, Sie sind Deutscher- und Europameister im Tischfußball. Welchen Zeitaufwand braucht's, um ganz nach oben zu kommen?

M. Steinfeld: Viermal Training die Woche, zwei bis drei Stunden jeweils. Und das über Jahre. Man muß ja erstmal das richtige Gefühl bekommen.

Gibt es so etwas wie Trainingsweltmeister?

Sicher, ich war ja auch mal ein Besessener. Später kommt dann Routine dazu, Cleverness.

Was macht den guten Tipp-Kicker?

Daß er variabel ist, sich so auf den Gegner einstellt, daß er sein eigenes Spiel durchziehen kann.

Sein Spiel?

Ja. Jeder hat seine eigene Spielart, es gibt regelrechte Schulen: Die Süddeutschen spielen gern mit Langfüßen, die Norddeutschen spielen mit kürzeren Füßen.

Das bedeutet?

Mit den langen Füßen braucht man mehr Gefühl, das erfordert einen wesentlich höheren Trainingsaufwand - aber die Bälle kommen viel gefährlicher.

Folgende Situation: Sie haben den Ball am eigenen Strafraum, ich stell mein Männchen davor. Was nun?

Wenn Sie Kurzdeckung machen nehm ich den Langfuß, heb den Ball drüber, laß ihn aufsetzen und ins Toreck springen.

Schlecht. Ich decke lieber lang.

Dann kommt der Knaller: Scharfes Ding knapp neben den Pfosten.

Versteh ich das richtig: Verschiedene Schüsse, verschiedene Kicker?

Genau. Es gibt ja die verschiedensten Varianten, Rechtsdreher, Linksdreher, Aufsetzer undsoweiter.

Mit dem Spiel aus dem Laden hat das nichts mehr zu tun.

Wie man's nimmt. Man kauft die normalen Männchen und frisiert sie: auseinandermontieren, das Bein feilen und aufbohren, eine Unterlegscheibe dazwischen, daß es ganz gerade läuft.

Und wenn Sie mit einem normalen Männchen spielen müssen?

Mit einem gewöhnlichen Rohling kann man nichts anfangen.

Tobt da eine Materialschlacht wie in der Formel 1?

Eigentlich nicht. Die verschiedenen Materialien haben mehr mit der Haltbarkeit zu tun. Schleuderguß bricht schneller.

Also hier: volle Egalite. Was macht Sie dann zum Winnertyp?

Die Psyche ist nachher das Wichtigste. So ein Turnier zieht sich ja über zehn, zwölf Stunden am Tag. Wenn da von vielleicht 150 Spielern zwölf in die Endrunde kommen, die sind alle praktisch gleich gut. Jetzt braucht's Nervenstärke.

Alles mental?

Eindeutig: Ja.

Verraten Sie uns die Psychotricks. Ein Beispiel: Es steht eine Minute vor Schluß 4:3 für Sie. Was tun?

Ich laß mir Zeit für jeden Schuß, acht, zehn Sekunden. Dann wird so gezielt, daß entweder der Torwart oder der Spieler getroffen wird und der Ball ins Aus geht, so bleib ich am Spiel...

...Wenn der Ball die Farbe nicht wechselt.

Den Einwurf kann ich auf meine Farbe spielen.

Jetzt flunkern Sie aber: Das Ding muß doch 4,5 Zentimeter weit rollen.

Zu neunzig Prozent geht das: Die richtige Kante treffen, ein kleiner Bogen - fertig. Das kann eben nicht jeder.

Schachspieler wie Kasparow machen Konditionstraining, um dem Turnierstreß auch körperlich gewachsen zu sein.

Ich fahr viel Fahrrad und schwimme. Das muß schon sein, und: Der Erfolg gibt mir recht.

Ist Tipp-Kick ein Spiel oder Sport?

In der Leistungsspitze ganz klar Sport. Es gewinnt ja nicht mal der und mal der, sondern es sind immer die gleichen Leute vorn. Das ist ja die Kunst: Oben bleiben, nicht nur einmal hochkommen.

Nochmal zur Technik. Wie sieht so eine Trainingseinheit aus?

Zuerst zehn Schüsse aus Nahdistanz, dann zehn von der Seite, rechts, links, dann Eckbälle. Das ganze Repertoire durch und immer wiederholen.

Können Sie eine Ecke direkt verwandeln?

Sicher. Direkt oder als Aufsetzer, wie Sie wollen. Ich stell mich auf den Torwart ein.

Ein Top-Tipp-Kicker muß ja auf dem Feld und im Tor etwas können.

Richtig, aber es gibt leichte Unterschiede: Ich zum Beispiel bin sturmstärker.

Bei soviel Professionalismus, wie sieht's mit Sponsoren aus?

Kleine haben wir schon mal, für Trikots zum Beispiel.

Sie spielen in Sportkleidung?

Klar doch.

Und Turnhosen?

(Lacht) Nee, nee.

Tennisspieler kennen den Tennisarm. Was ist mit dem Tipp -Kick-Finger?

Hab ich noch nie gehört.

Und wie sieht's mit den Träumen aus?

Oh ja, da kommen vor allem die peinlichen Niederlagen nochmal hoch. Irgendein blöder Fehler, das geht einem schon nach.

Was hat der Beste Ihnen voraus?

Nichts, keiner ist besser als ich.

Sie trainieren viel, sind in der Spitze, und Steffi Graf räumt die Kohle ab.

Das ärgert mich. Man trainiert, man investiert Zeit, und es ist ja kein Glück dabei, man weiß was man kann. Das ist doch bitter.

Würden Sie sich heute für einen anderen Sport entscheiden?

Ich wünschte, es gäbe im Tipp-Kick Geld zu verdienen, dann würde ich keinen Rückzieher machen.

Marx hat gesagt, ein Mann könne nicht mehr zum Kind werden, bestenfalls kindisch. Halten die Leute einen 26jährigen leidenschaftlichen Tipp-Kicker für einen Kindskopf?

Ja, manche lästern schon. Aber das macht nichts.

Fachgespräch: Herr T.