Die nächste Mauer wackelt

Gorbatschow und Roh Tae Woo beginnen eine neue Ära der Ost-West-Beziehungen in Asien  ■ K O M M E N T A R E

Das Treffen zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo und Michael Gorbatschow in San Franzisko ist von weit größerer historischer Bedeutung als alles, was beim Washingtoner Gipfel beschlossen wurde. Es leitet eine neue Ära der Ost-West-Beziehungen in Asien ein. So wie der Fall der Berliner Mauer eine Wende der Europapolitik signalisierte, dürfte diese Zusammenkunft den Beginn des koreanischen Vereinigungsprozesses markieren, auch wenn Nordkorea Gorbatschow zuvor noch vor „schweren politischen Konsequenzen“ dieser Unterredung gewarnt hat. Einzig reale Folge könnte allenfalls eine weitere Isolation des Regimes in Pjönjang sein.

Seit 1988, als Seoul die die olympischen Spiele ausrichtete, verzeichnet Südkorea beachtliche Erfolge bei der Etablierung von diplomatischen und Handelsbeziehungen mit der kommunistischen Welt einschließlich China, der asiatischen Schutzmacht Pjöngjangs. Zwar haben die Sowjetunion und auch China bislang gezögert, die Regierung in Pjöngjang zu brüskieren. Beide sind aber am Ausbau ökonomischer Zusammenarbeit äußerst interessiert. Seit dem Korea-Krieg Anfang der 50er Jahre, als die Halbinsel in den prokommunistischen Norden und den proamerikanischen Süden aufgeteilt wurde, reduzierten sich die Kontakte zwischen den beiden Ländern hauptsächlich auf massive gegenseitige Beschuldigungen.

Roh Tae Woo und Gorbatschow werden nun über die Aufnahme vollständiger diplomatischer Beziehungen bis Ende des Jahres reden. Der entscheidende Fortschritt wird sich aber auf ökonomischem Gebiet abspielen. Das Handelsvolumen zwischen Sowjetunion und Südkorea - bis 1988 so gut wie nicht existent - belief sich im vergangenen Jahr auf nahezu 600 Millionen und soll im kommenden Jahr auf zwei Milliarden US -Dollar anwachsen. Südkoreanische Firmen können es kaum abwarten, ins Joint-venture-Geschäft einzusteigen. Und Gorbatschows Interesse konzentriert sich auf das südkoreanische Investitionsvermögen. Südkorea wiederum verspricht sich neben ökonomischen auch politische Vorteile. Direktverhandlungen zwischen Seoul und Pjöngjang scheiterten bisher stets an der schier unüberwindlichen Feindseligkeit.

Kein Zufall also, wenn die Sowjetunion und China - die beiden großen Schutzmächte Nordkoreas - sich in Kürze treffen und auf höchster Ebene verhandeln werden. Zudem gibt es Anzeichen für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Pjönjang und Washington. Südkorea hofft, daß eine Überkreuzanerkennung - die Anerkennung des Südens durch die kommunistischen Länder bei gleichzeitiger Anerkennung des Nordens durch die Vereinigten Staaten und Japan Spannungen auf der Halbinsel reduzieren wird und eine Wiedervereinigung nicht mehr nur denkbar, sondern auch möglich wird.

Larry Jagan