3,76 Mark Stundenlohn nicht sittenwidrig

■ Arbeitsgericht Bremen empfiehlt Datatypistinnen, ihre Klage auf angemessenen Lohn zurückzuziehen

Das Arbeitsgericht Bremen hat gestern vier ehemaligen Mitarbeiterinnen der Firma Helmut Reinhold Datenerfassung GmbH empfohlen, ihre Klage auf angemessenen Lohn zurückzuziehen. Die Frauen hatten ihren (ehemaligen) Arbeitgeber wegen Sitten

widrigkeit des Arbeitsvertrages und wegen Wuchers verklagt, weil sie als Datatypistinnen für 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche mit ganzen 620 Mark Brutto-Monatsgehalt ( 3,76 Stundenlohn) entlohnt wurden. Nach acht Berufsjahren brachte es eine Angestellte der Reinhold GmbH auf ganze 1.225 Mark.

Diese Entlohnungspraxis hat das Arbeitsgericht Bremen jetzt quasi rechtlich bestätigt. Richter Michael Grauvogel stützte sich in seiner Empfehlung im wesentlichen auf ein Urteil des Bremer Landesarbeitsgerichtes (LAG) aus dem Jahre 1987. Danach liegt der Tatbestand des Wuchers nur dann vor, wenn erstens ein deutliches Mißverhältnis zwischen angebotener Leistung und Entlohnung besteht, und wenn zweitens das Opfer des Wucherers in einer Zwangslage ist uwennritns d Arbeitskraft des Opfers ausgebeutet wird. Alle drei Tatbestände sah das Gericht in den vorliegenden Fällen nicht als erwiesen an.

Die Gewerkschaftssekretärin der DAG (Deutschen Angestellten Gewerkschaft), Marie Bolt, hatte als Rechtsvertreterin der vier Klägerinnen nach Tarif einen monatlichen Durchschnittslohn von 1.900 Mark brutto für die Datenverarbeiterinnen errechnet. Da die Frauen bei Reinhold nur ein Drittel des Tariflohnes verdienten, lag der Fall für die Gewerkschaftsfrau auf der Hand: Die Reinhold GmbH sollte per Urteil dazu gezwungen werden, die Lohndifferenz an die Frauen für die Dauer der Arbeitsverhältnisse auszuzahlen.

Doch Marie Bolte hatte den

Prozeß ohne den Richter gemacht. Der stellte nämlich fest, daß die Frauen ihren Klagegrund verwirkt hätten, weil sie teilweise jahrelang - die niedrigen Löhne akzeptiert hätten und eröffnete den vor Schreck sprachlosen Klägerinnen, daß ein Tarifvertrag nicht das Maß aller (Rechts-)Dinge ist. Mit einem Drittel des Tariflohnes lägen sie nicht allzu weit unter dem branchenüblichen Durchschnitt. Schließlich, so argumentierte der Richter weiter, hätten sich die Frauen betriebsintern für eine Lohnerhöhung stark machen können: „Das bürgerliche Gesetzbuch geht davon aus, daß die Parteien (von ArbeitgeberInnen und

ArbeitnehmerInnen) frei über die Vergütung verhandeln“, erklärte Grauvogel das Spiel der Kräfte im real existnd beitampf. Die Frauen hätten durch ihre langen Arbeitsverhältnisse deutlich gezeigt, daß sie die Lohnbedingungen der Firma Reinhold akzeptierten.

Das Gericht ließ in der Verhandlung keinen Zweifel daran, daß es um das 1987-Urteil des Landesarbeitsgericht nicht herumkommt. Die Berufung auf die freien Verhandlungen der Parteien, so die Richter einschränkend, „mag idealtypisch sein“, die Auseinandersetzung um Löhne und Gehälter könnten aber auf keinen Fall vor dem Arbeitsgericht ausgetragen werden. Das

sei „eine Fehlverlagerung der Plattform“, erklärte das Gericht seine Nicht-Zuständkeit im „System des Arbeitsrechtes“.

Die Klägerinnen haben jetzt vier Wochen Zeit, um ihre Klage entweder zurückzuziehen oder baden zu gehen. Letzteres könnte eine Revisionsverhandlung vor eben dem Landesarbeitsgericht nötig machen, das bereits 1987 ähnliche Klagen abgewiesen hatte. Derweil ist das Urteil schon gefällt und eingetütet, wird jedoch erst gelüftet und verkündet, wenn die Klage am 3. Juvon d auen aufrechterhalten wird. Verkündungstermin ist dann der 10. Juli.

Markus Daschne