Krank, verschroben, keifend

■ Deutsche Erstaufführung von Tennessee Williams‘ „Vieux Carre“

Als Drehbuchautor lehnte Hollywood ihn ab, seine Theaterstücke stießen dann aber auf so viel Gegenliebe, daß jedes verfilmt wurde. Namen wie Sidney Lumet, John Huston und natürlich Elia Kazan tauchen in der langen Liste der Regisseure auf. Dann die Schauspieler: Vivian Leigh und Marlon Brando; Anna Magnani und Burt Lancaster; Deborah Kerr, Richard Burton und Ava Gardner. Er war erst Mitte vierzig, als er mit Stücken wie „Endstation Sehnsucht“ und „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ weltberühmt geworden war.

Eigentlich hätte ein vielbeachtetes Alterswerk folgen müssen. Aber was er in den 60er und 70er Jahren schrieb, ist mehr oder weniger untergegangen. 1983 starb Tennessee Williams, der in seinen besten Stücken den amerikanischen Südstaaten und den Lebenslügen der Menschen wie kein zweiter naherückte. Sechs Jahre vor seinem Tod schrieb er „Vieux Carre“, mit dem er anscheinend unter Beweis stellen wollte, daß er all seine verkrümmten Menschen noch einmal auf der Bühne versammeln kann - in einer billigen Pension in New Orleans, im „Vieux Carre“, dem alten, historischen Viertel der Stadt. Das autobiographisch eingefärbte Stück wurde damals in New York gespielt, auf einer deutschen Bühne war es erst jetzt zu sehen - in Darmstadt.

Mrs. Wire ist die Besitzerin besagter Pension, ihr Hausdrache. Von einem jungen Mann aus der Provinz, der in der maroden Atmosphäre der Pension seine Homosexualität und sein schriftstellerisches Talent entdeckt, ist sie allerdings sehr angetan. Er muß sich wehren, wenn sie in sein Bett steigt. Das hat zuvor auch ein tuberkulöser und ebenfalls homosexueller Maler probiert. Auf der anderen Seite des Ganges haust eine junge, erfolglose Modezeichnerin mit dem Schlepper einer Striptease-Bar - sie leidet an einer rätselhaften Blutkrankheit, er ist heroinsüchtig. Im Souterrain geht es wüst zu: Dort feiert ein ominöser Photograph Orgien mit seinen Modellen. Das Oldtimer-Paar unter den Gästen wirkt dagegen recht bodenständig und gesund: Mary Maude und Miss Carie, die die Mülltonnen des Viertels ausräumen und so tun, als seien sie in New Orleans‘ High Society zum Dinner geladen gewesen.

Zu viel kommt zusammen, die einzelnen Figuren sind von unterschiedlicher Authentizität. Die beiden alten Damen werden in Darmstadt von Christiane Pauli und Brigitte Goebel mümmelnd gegeben. Bei ihrem Auftauchen vergißt man glatt, wer sonst noch auf der Bühne zugange ist. Aus dem nach Liebe suchenden und todkranken Maler, vor dessen Tb-Auswurf sich alle fürchten, hat Tennessee Williams die anrührendste Figur des Stückes gemacht. Wolfgang Jaroschka spielt ihn anfänglich aggressiv, allmählich aber verhaltener und traurig. Die Bedienstete der Pensionwirtin ist die sattsam bekannte Südstaaten- Negerin, ein Klischee, zu dem Regisseur Daniel Karasek nichts Rechtes einfallen wollte. Und auch die Pensionswirtin hat sich der Autor eher kraß als glaubwürdig erdacht.

Schließlich macht sich der junge Autor wieder auf den Weg. Der Pension verdankt er eine Menge nachzuschreibendes Leben, und Mario Gremlich hat seine Entwicklung hin zum lebensbejahenden Autor nachvollziehbar gespielt. Daß Tennessee Williams von Hollywood geliebt wurde, liegt auch daran, daß er seine Bühnenfiguren keiner kruden Psychologisierung ausliefert. Er läßt sie sein, wie sie sind - krank, verschroben, keifend, dumm, sich selbst belügend -, ohne sie zu analysieren. In „Vieux Carre“ allerdings hat er zuviel von diesen Ingredienzien zusammengemischt und erdrückt sein Stück unter Deformationen und Krankheiten. Daniel Karasek ist dem Autor zu glatt in diese Richtung gefolgt.

Jürgen Berger

Tennessee Williams: „Vieux Carre“. Regie: Daniel Karasek. Bühne Klaus Baumeister.