Nur ein Ohr für Espartaco

Die Pfingst-„Feria“ in Nimes ist der unbestrittene Höhepunkt der Stierkampf-Saison und ein großes Straßenfest  ■  Aus Nimes Alexander Smoltczyk

Ein Prachtexemplar, durchtrainiert bis in die Hinterbacken und aus einem der edelsten Ställe Andalusiens. Kaum in der Arena, prüfte er schon fußscharrend den Boden und hielt die Nase in den Mistral: Espartaco, alias Juan Antonio Ruiz für die meisten aficionados, was Tuchtechnik und Standfähigkeit betrifft, der zur Zeit beste Torero.

Und doch war nicht er der Star bei der diesjährigen Pfingst -Feria, die am Montag zu Ende ging, sondern jene 18 vierbeinigen Spitzenathleten aus dem Stall des legendären Züchters Victorino Martin - um die 600 Kilo reine Muskeln, zum Stückpreis von 30.000 Mark und allesamt vom Charakter des jungen Cassius Clay.

Die Ehre, die durchtriebensten und angriffslustigsten Stiere Iberiens bei sich auftreten lassen zu dürfen, verdankte Nimes dem madrilenischen Stierarzt Manuel Sanz. Hatte der doch behauptet, Don Victorino, der Zeus aller Tauromachen, habe die Hörner seiner Lieben angefeilt und abgestumpft... Skandal! Und bis sich der spanische Innenminister nicht persönlich entschuldigt hat bei Don Victorino (der an Dickköpfigkeit seinem Gezücht in nichts nachsteht), wird kein toro seines Hauses eine spanische Arena mehr betreten.

Fanfare. Stierkampf ist die Kunst des Scheins, die hohe Schule des Fastberührens. Espartaco zeigte sich in Nimes auf der Höhe seines Ruhms. Obwohl er noch nie gegen einen „Victorino“ angetreten war, gelangen ihm die faenas, als hätte er mit Neleton (695 Kilo, schwarz an Fell und Seele) gemeinsam die Tanzstunde besucht: Dreimal zog er den heranspurtenden Koloß an sich vorbei, so dicht, daß das Bauchfell des Toreros die banderillagespickten Rückenmuskeln seines Gegners streifte, dann ein Hochziehen der Maleta, des Tuches, eine Drehung - und Neleton der Furchtbare stand unversehens sinnend und harmlos blinzelnd wie die berühmte lila Kuh in der Arena, während der Matador davonstolzierte und den Todesgeweihten keines Blickes mehr würdigte.

Doch ausgerechnet in diesem Augenblick höchsten Tauromachismos platzte ein ungeplanter Zuschauer herein und sprang mit selbstgebautem Degen und Maleta über die Brüstung. Ein espuntaneo, wie die Herostraten der Arena genannt werden. Die banderilleros von Espartaco, sonst zuständig für die Plazierung kurzer Spieße im Stiernacken, überwältigten den Kühnen zwar sofort, doch schien der Vorfall den Meister aus dem Konzept gebracht zu haben. Ihm gelang es nicht mehr, den Stier über zwanzig Meter hinweg ins Tuch zu locken, ja er wurde sogar zweimal von Neletons Hörnern an der Hand gestreift und brauchte schließlich zwei Ansätze, um diesem den Degen zwischen die Schultern zu stoßen. Applaus für Neleton, aber - so befand el presidente - nur ein Ohr des Stieres als Auszeichnung für Espartaco.

Nicht alle corridas hatten diese Qualität. Emilio Nunoz versagte trotz Heimvorteils vollkommen, als er seine picadores - gepanzert und zu Pferde - wider alle Regeln dreimal mit der Lanze zuzustechen und Ventolero (515 Kilo) aufs erbärmlichste ausbluten ließ.

Dennoch - dank den Victorinos wurden die in dieser Saison nicht verwöhnten aficionados in Sevilla und Madrid neidisch. Vor allem, weil die Feria in Nimes abends keineswegs beendet war. Denn während es in der Arena noch einigermaßen gesittet und regelgerecht zuging, verwandelte sich die Stadt jeden Abend in ein Tollhaus. Unter jeder Platane schmorte die Paella, aus jedem Fenster plärrten die Lautsprecher und auf jedem freien Flecken Trottoir wurde getanzt.

Während die ersten Victorinos schon in den Bratpfannen brutzelten, übten sich kurzgeschorene Legionäre im Kampftrinken, spritzten sich ekstasierende Pennäler und Bankangestellte mit Rasiercreme voll, und um halb drei stieg die Bodegakellnerin endlich auf die Theke und gab den alten Schlager von France Gall zum besten.

Kurzum: bis morgens um sieben wurde getanzt und gekotzt, gröhlend geflirtet und hemmungslos gepißt, so daß - wozu ist die Corrida sonst da? - jedes sonst so zahme Kälbchen einmal, ein einziges Mal nur, den wilden Stier spielen durfte.