Der diskrete Bulle mit den drei Diamanten

„Unsichtbar, aber überall“: Für die japanische Mitsubishi-Gruppe ist eine mehr als vierzigjährige Rekonstruktionsphase abgeschlossen  ■  Aus Tokio Georg Blume

Mitsubishi („drei Diamanten“) klingt für deutsche Ohren ein wenig exotisch. Nikon, der Name der Kamera, prägt sich da leichter ein. Frage an Nikon-Chef Shoichiro Yoshida, wie er es mit dem Namen Mitsubishi halte? „Wir sind eine unabhängige Firma“, entgegnet Herr Yoshida vorsichtshalber. „Gelegentlich teilen wir uns mit Mitsubishi-Firmen eine Ausstellungshalle. Darüberhinaus unterhalten wir kaum Kontakte.“ Doch das Wesentliche verrät der Nikon-Chef natürlich nicht.

„Für die Japaner sind wir wie Luft: unsichtbar, aber überall vorhanden“, befindet Yohei Mimura, Präsident der Mitsubishi Corporation. Die Rede ist von der Mitsubishi -Gruppe, der Nippons größtes Handelshaus, eben jene Mitsubishi Corporation, ebenso wie der Kamerahersteller Nikon angehören. Unsichtbar ist diese Gruppe freilich nicht. Ein Schritt aus dem Tokioter Hauptbahnhof reicht, und man steht mitten in einer Mitsubishi-Stadt. Links der Himmelsbau der Mitsubishi Bank (auf dem vierten Platz in der Weltrangliste), rechts der schwerfällige Betonbau von Nippons größter Rüstungsfirma (Mitsubishi Heavy Industries und rund herum eine große Zahl von Bürotürmen, deren annähernd 300.000 Arbeitsplätze auf Mitsubishi-Land gegründet sind.

Seit genau hundert Jahren ist der Tokioter Stadtteil zwischen Kaiserpalast und Hauptbahnhof im Mitsubishi-Besitz. 1890 nahm Mitsubishi-Präsident Yanosuke Iwasaki, jüngerer Bruder des Firmengründers, seinem damals schon größten Auftraggeber, der japanischen Regierung, das Stück Land zum Schleuderpreis ab. Nur die Besatzer aus den Vereinigten Staaten wagten es 55 Jahre später, Protest einzulegen und den Stadtboden an neue Eigentümer zu verteilen. Die Vorkehrung hielt der Mitsubishi-Tradition allerdings nicht stand. Heute haben erneut alle führenden Unternehmen der Gruppe im Mitsubishi-Stadtteil ihren Stammsitz und liefern damit den deutlichsten Beweis für ihre Verwandtschaft.

Denn so sichtbar sich ein Firmengebäude an das andere schließt, so ungreifbar ist die gemeinsame Politik der Mitsubishi-Gruppe. Auf dem Papier existiert sie nicht. In allen japanischen Lexika endet ihre Geschichte im Jahre 1945. Seit diesem Zeitpunkt gibt es lediglich 29 Einzelunternehmen, allesamt historisch im alten Mitsubishi -Vorkriegskonzern verwurzelt. Ihre Präsidenten und Geschäftsführer treffen sich einmal im Monat im „Kinyokai“, dem sogenannten „Freitagsklub“, weshalb Japaner von Mitsubishi oft nur noch als „Kinyokai“ sprechen.

Dabei handelt es sich um ein informelles Zusammenkommen, bei dem - wie alle Protagonisten gerne beteuern - keine Entscheidungen gefällt werden. Nicht einmal die US -amerikanische Regierung glaubt das mehr. In den hart umstrittenen Handelsgesprächen mit Tokio forderte Washington nachdrücklich - aber vergeblich - eine der Öffentlichkeit zugängliche Protokollführung beim Kinyokai und vergleichbaren Tischrunden von Konzerngruppen. Der Präsident des Mitsubishi-Handelshauses, Yohei Mimura, hatte der US -Regierung zuvor kühl entgegnet: „Exklusivgeschäfte“ zwischen Mitsubishi-Unternehmen gäbe es nicht mehr. Schließlich würden nur sechs Prozent aller Einkäufe der Mitsubishi-Unternehmen von seinem Handelshaus abgewickelt werden. Mit anderen Worten: Die Kinyokai-Mitglieder seien gute Freunde, weiter nichts. So weit, so gut.

Was aber hatte der Mitsubishi-Chef diesmal verschwiegen? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Gleich zweimal schlug Mitsubishi in diesem Frühjahr auf die Pauke und zeigte Amerika und der Welt, was die Firma sich leisten kann. Keine Rede war von der sonst beteuerten Unabhängigkeit aller Mitsubishi-Unternehmen, als sich die vier Vorsitzenden der führenden Gruppenmitglieder Mitsubishi Bank, Mitsubishi Heavy Industries, Mitsubishi Motors und Mitsubishi Corporation mit der Führungsspitze der DaimlerBenzAG zu umfassenden Kooperationsgesprächen in Singapur einfanden.

Im Kinoykai koordinierten die Chefs ihre Vorbereitungen. Ebenso wenig sorgten sich Mitsubishi-Verantwortliche um das Prestige der Firmeneigenständigkeit, als sie im April die Fusion von Mitsubishi Metal und Mitsubishi Mining & Cement zu Japans größtem Hersteller von Nichteisen -Metallen bekanntgaben. Beobachter sprachen dabei von der bedeutendsten Fusion überhaupt zwischen zwei Firmen, die vor dem Krieg einem gemeinsamen Stammhaus angehörten. Kurz und knapp kommentierte Handelshaus-Präsident Yohei Mimura vor nicht weniger als einer Woche: „Die Fusion markiert das tatsächliche Ende der faszinierenden Nachkriegsperiode für die Mitsubishi-Gruppe.“

Zu solchen Worten gehört bei Mitsubishi das Selbstbewußtsein, an die unvergessene Größe der Vorkriegs und Kriegszeit anzuknüpfen. Jahrzehntelang bemühte sich die Konzerngruppe, ihre Zerstückelung durch die Antitrust -Gesetzgebung der US-amerikanischen Besatzungsmacht zu überwinden. Dabei war es oberste Regel aller Mitsubishi -Manager, im japanischen Wirtschaftsbetrieb nicht sonderlich aufzufallen. Jede ereignisträchtige Mitsubishi-Intervention erregte im In- und Ausland sofort den Verdacht, der verhaßte Vorkriegskonzern, der dem faschistischen Staat lieferte, was dieser verlangte, könnte in gefährlicher Form wiederauferstehen.

Shinroku Morohashi, jener Geschäftsführer der Mitsubishi Corporation, der mit Daimler-Chef Edzard Reuter die Gespräche zwischen beiden Gruppen einleitete, hat die Nachkriegsgeschichte seines Konzerns vor kurzem prägnant formuliert: „Wenn jemand, der stark wie ein Bulle ist, die Arbeit einer Ziege verrichtet, verliert er an Stärke. Es wäre nicht fair gewesen, unseren Leuten zu sagen: Jetzt müßt ihr sofort wieder wie ein Bulle arbeiten! Deshalb mußten wir unser Arbeitsniveau langsam hochschrauben.“ Insofern entspricht das „Ende der Nachkriegsperiode“ (Mimura) dem Erreichen des gewünschten „Arbeitsniveaus“ (Morohashi). Kurz und gut: Der Bulle ist wieder da. Und seine Gestalt ist beeindruckend.

Mit 420 Milliarden DM Jahresumsatz erwirtschaften die 160 führenden Mitsubishi-Unternehmen etwa ein Fünftel des bundesdeutschen oder ein Zehntel des japanischen Bruttosozialprodukts. Dabei nicht eingerechnet sind Hunderte von hierarchisch, in mehreren Stufen geordnete Zulieferbetriebe, die in vollkommener Abhängigkeit für Mitsubishi produzieren. So gibt auch die Zahl von 360.000 Angestellten der führenden Mitsubishi-Unternehmen nur eine ungenaue Vorstellung davon, wieviele Menschen tatsächlich für die größte Firmengruppe der Welt arbeiten (Schätzungen kommen dem Stand von 1945 nahe: eine Million). Nicht nur der „Freitagsklub“ der Präsidenten, auch der gegenseitige Besitz von Aktienkapital, Kreditverpflichtungen gegenüber der Mitsubishi Bank, der sehr gebräuchliche Personalaustausch in den Führungspositionen und unverminderter Firmenstolz bei den Beschäftigten halten die einzelnen Unternehmen der Gruppe zusammen.

Das war immer so. Neu hingegen ist die wiedergewonnene Beweglichkeit des Firmengiganten. Wie die Daimler-Gespräche, der Abschluß der Nachkriegs-Rekonstruktion durch die Verschmelzung der Metallfirmen und der offenere und transparentere Führungsstil zu erkennen geben, hat die Mitsubishi-Gruppe trotz ihrer Ausmaße zu einem geschlossenen, zentralisierten Management zurückgefunden.