„Kuhblick, das war ganz schön gerissen!“

■ „Bremer Stadtmusikanten“ als Musical, aktualisiert / V.Herbersteins „Opera Piccola“ bei der Generalprobe

Eins geb‘ ich ... Mehr Tremolo! ... und aus! ... Und jetzt mit mir atmen! ... Setzt das hin, sofort, entschuldigst bittschön, die Zeit ... Wo ist die Regie???“ Generalprobe der „Bremer Stadtmusikanten“ der Opera Piccola im „Modernes„; sekundenweise ist die Kontenance des Wiener Kleinopernmachers und Dirigenten Petrus von Herberstein in Gefahr, und dann rast noch Cynthia

Jacoby, eigentlich Sängerin aus San Francisco, hier und heute Regisseurin, wie ein schwarzer Blitz durch den Raum und fuchtelt und stöhnt, Schauspieler flattern, im „Orchestergraben“ wird genörgelt, und zu allem Überfluß ist Gottseidank der Komponist des Stücks, Alexander Wladigerov, der „bulgarische Gershwin“, da und hat Einsprüche und dirigiert mit.

Bulgarischer Gershwin

Verdienter Künstler der VR Bulgarien, Sohn eines ebenfalls verdienten Künstlers, promovierter Dirigent, Komponist, Chef des Symphonieorchesters des Bulgarischen Radios, alles das ist Herr Wladigerov. In den Schulen Sofias lernen die Kinder seine Stücke, vorzugsweise seine Vertonungen der Grimmschen Märchen. Und so kamen die Bremer Stadtmusikanten nach Bulgarien. Um dann erstmal in das Land der besten KennerInnen der vier Bremer Viecher, nach Japan zu reisen, wo das Kindermusical drei Jahre lang 800 mal in 50 Städten gespielt wurde. Jetzt sind sie in Bremen angekommen und unter den Händen von Herrn von Herberstein zu einem „brandneuen Musical nach völlig verstaubtem Vorbild“ geraten.

Redemeier & Schorf:

Räuber

Auf der Bühne ein langer Tisch, vier Telefone, Namensschilder: Schorf, Kuhblick, Redemeier, Strohbäcker. Herr Pranke ist durchgestrichen. Das sind die Räuber. Sie trinken pausenlos Beck's, haben eine Schubkarre voll Geld, das sie nicht dem Schorf für die Kultur geben, aber dem Weserstadion. Die Bande in anthraziten Einreihern prostet dem Wähler zu, schwingt die

Beine und hat gut lachen („Kuhblick, das neulich mit unserem Gästezimmer, das war ganz schön gerissen...!“). Die Stadtmusikanten übrigens kommen aus Leer, sind arbeitslose Musiker und werden die Räuber vertreiben. So wird aus einem Kinderstück ein brandneues Musical für Leute von 5-105. Libretto: Musikstudent Christian Huhs, Zeitaufwand 1 Woche.

Jazzig, slawisch,

Westsidestory

Unter einem Zeitaufwand von nur 3 Wochen entstand die Bremer Inszenierung. Die Schauspieler entspringen dem Jugendclub des Bremer Theaters, die Musik machen StudentInnen der Hochschule für Kunst und Musik. Perfektes entsteht so nicht; unübersehbar sind allerdings Spielfreude und Temperament bei allen Beteiligten incl. kecken Mißachtens der Würde des Dirigenten v.Herberstein. Ist auch ein verzwicktes Stück Musik, das Alexander Wladigerov da geschrieben hat für einen Haufen Blech, Piano, Schlagwerk, Contabaß und Xylophon. Es wimmelt von 5/8 und 7/8, Rhythmus- und Tempiwechsel, Unisono von Piccolo und Xylophon, gewaltigen Crescendi und zartem Hauchen. (Wladigerov: „Die nächste Musik werde ich nur in 3/4 schreiben!“) Musikalisch sind die Bremer Stadtmusikanten eine eigentümlich suggestive Melange, ein filigranes Geflecht aus Jazz, slawischer Melodik und Westsidestory. Wer in Bulgarien zwischen den Noten hören konnte, entdeckte auch eine Fülle subversiver Musikzitate: So das Jonglieren mit Chopins Trauermarsch, der an sich für Lenins und anderer Größen Staatsbegräbnis vorbehalten war; oder Parodien auf avancierte StaatsvokalistInnen; oder das in der letzten Musikergeneration noch überall bekannte „Dadadida“ (o.s.ä.), was soviel wie „Leck-mich-am-Arsch“ bedeutet.

Musik-Gourmet

Petrus von Herberstein ist eben „musikalisch ein Gourmet“ und stellt mit den „Bremer Stadtmusikanten“ ohne jede Subvention ein putzmunteres und von keinerlei Selbstzweifeln angekränktes Stück dramatisierter Musik auf die Beine; in den Tagen, da der

Dilettant noch eine geachtete Figur war, wäre die opera piccola niemals feuilletonistisch benasrümpft worden. Heute wendet sie sich an Leute, die das große Musiktheater nimmer anspricht, das rasante Musical im Modernes aber vielleicht doch. Ein jugoslawischer Rezensent berichtete immerhin, daß es „das Publikum aus den Plätzen riß“ und die Zuschauer „wie im Delirium am Spiel“ teilnahmen. Kikeriki! Burkhard Straßman

Premiere heute, 19.30h; weiter Termine: 12., 13., 14. Juni