EINSCHUSS-ICH

Die Leidenschaftsmonogamistin  ■ H E L D E N D E R A R B E I T

Schon in der letzten Folge wurde ein Held der Arbeit geehrt, der durch die kalkulierte Einführung des Faktors Null in die Produktion den gesellschaftlichen Konsens der Arbeitsteilung in Arbeiter und Müßiggänger aufbricht und zur Gewissensfrage macht. Heute soll ein Mensch zu Wort kommen, der den Faktor Null soweit spezifiziert, als er körpereigene Energie freisetzt, und damit bis zur letzten Konsequenz die monogame Verschleuderung von Werten einer monokulturellen Akkumulation von Mehrwert vorzieht. Offensichtlich durch die Berlin-Kultur-Betroffenenberichterstattung zum Thema „Flipper“ angeregt, ließ uns Hanna B. mit beigelegtem Rückporto nachfolgenden Abschiedsbrief zukommen:

„Rauchen, Saufen, Spritzen, Kiffen, Schokofressen, Sexbesessen, Prügeln, Schlagen, Meditieren, Radeln, Turnen, Tiere züchten oder Hühner frikassieren oder einfach bunte Postkarten mit immer wieder demselben Motiv sammeln, gleich was, nur eine harmlose Leidenschaft soll es sein! Ich aber habe alle Hoffnung aufgegeben. Nach dem Verschleiß mehrerer Dutzende Therapeuten, Psychologen, Wunderheiler und Analytiker weiß ich, daß ich verloren bin. Die Therapiesalons werden für mich auf immer verschlossen bleiben. Ich bin ausgesetzt in eine Welt, die mich nicht begreift und Solidarität für meinesgleichen nicht kennt. Anderen mangelt es nicht an schützenden Bezugsgruppen, ich aber kann unter den Menschen nicht mehr heimisch werden. Mein Fall ist außerordentlich.

Schon mein äußeres Erscheinungsbild läßt meine Mitmenschen erschaudern: Meine Augen gleichen rasenden Kugeln, treten häßlich aus den Höhlen hervor und bewegen sich unaufhörlich unter knirschendem Geräusch. Meine Hände sind schweißtriefend, zittrig und nervös. Gehetzt durchquere ich die Straßen, an jeder Ecke aufgeschreckt von dem lauten, schnalzenden Geräusch meiner eigenen Finger. Man beäugt mich mißtrauisch in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich verpacke meine zuckenden Hände tief in den Taschen, weil ich mich ihrer schäme, ich trage dunkle Brillen, um mich zu verhüllen, doch meine Sucht ist nicht zu stillen.

Fragt nicht nach dem Namen. Schon entfernt ähnlich klingende harmlose Wörter wie „Fluch“ oder „Flasche“ oder „Puppe“ oder „Fliege“ (oder etwa „Flipper“?) jagen mir Schauer über den Rücken. Nichts auf der Welt ist grausamer als eine monogame Leidenschaft! In allem bin ich demokratisch, weltläufig, flexibel und tolerant, niemals würde ich mich wie andere Menschen auf irgend etwas festlegen: auf eine Lieblingsspeise, eine tageszeitung, ein Reiseziel oder einen Menschen, den man lieben muß. Ich bin also von meiner Grundlage her vollkommen gesund. Kaum aber betrete ich eines jener unheilvollen Etablissements, ahne hinten, im schützenden Schatten, die Maschine, bin ich zum Schlimmsten bereit, um an meine Kugel zu gelangen.

Ich möchte niemanden langweilen mit den Anfängen meiner langen Leidensgeschichte, mit den ersten, zweiten, dritten Malen bis hin zur vollkommenen Unausweichlichkeit des Spiels. Daß ich bis heute kein Menschenleben auf dem Gewissen habe, ist allein der Nachsicht meiner potentiellen Opfer zu verdanken: sie blicken mir ins Gesicht und weichen widerstandslos. So liegt es mir fern, irgend jemanden für mein Elend verantwortlich zu machen. Meine Freunde haben das ihre getan, mich zu retten. Nur wenige spielten noch bis vor kurzem, jedoch in Sorge um mich stets kontrolliert und heimlich. Aber ich habe sie immer wieder ausfindig gemacht, gleich, wie oft sie das Etablissement wechselten. Ich folgte wie ein Hund dem Geruch frischer Würste und landete folgerichtig im Haus des Schlächters. Heute haben sie alle das Spiel mit der Kugel aufgegeben. Sie haben keine Anstrengungen unterlassen, mich von der Maschine wegzulocken. Ihr Einfallsreichtum war beachtlich. Anfangs versuchten sie, mich mit Hilfe anderer, täuschend ähnlicher Spielautomaten zu übertölpeln, als sei der Schaltknüppel eines beliebigen anderen Automaten mit dem meinen vergleichbar! Als man entdeckte, daß der Therapieversuch „ähnliche Automaten und verwandte Spiele“ gescheitert war, wurde ein radikaler Gegenversuch beschlossen. Müßig, diese hoffnungsvollen Versuche hier aneinanderzureihen. So ließ ich mich zum Beispiel freiwillig eine Woche lang an einen Stuhl fesseln, um ununterbrochen Canasta zu spielen. Wir spielten bis zur tiefsten Verzweiflung, später auch Dame, Domino, Mensch-ärgere-dich-nicht. Sie ließen mich gewinnen, es nützte alles nichts. Wir fuhren also übers Land, besuchten die Casinos, in denen die anderen, über die Roulettetische gebeugt, ungeheuerliche Summen verloren, während ich mich wegstahl, ins nächste Dorf wanderte und in einer der verstreuten Kneipen fand, was ich brauchte.

Ich werde mich nicht in Einzelheiten der Therapiestrategien verlieren, von den körperlichen Anwendungen wie ermüdendes Bergwandern, Eisbäder und unermüdliches Treppensteigen und anderen Selbstbestrafungsmaßnahmen ganz zu schweigen. Daß ich bis jetzt noch frei bin, sofern man meinen Zustand als frei bezeichnen möchte, ist ein gnädiger und zugleich qualvoller Zufall. Zur Beschaffung der nötigen Kleingeldmittel (ich habe nie in meinem Leben ein Freispiel errungen!) habe ich gelogen, gestohlen, gebettelt sowie Menschen bedroht und ausgeplündert. Ich habe meinen Hausrat versetzt und bin auf das Mitleid einiger weniger Bekannten angewiesen.

Wenn ich jetzt, in einem kleinen verzweifelten Anlauf, versuche, ein neues Spiel zu spielen, so möge man dies nicht als eine glückliche, neu erwachte Leidenschaft mißdeuten. Ihr seht, daß meine Hände zittern und meine Augen rollen, während ich das Pistölchen an meine Schläfe setze. Glaubt nicht, ich hätte Angst. Im Gegenteil, weder Pathos noch Stil dieses Spiels reizen mich, es langweilt mich schon jetzt mehr als jedes andere zuvor. Ich werde die Welt als Sklave meiner Maschine verlassen. Ich spiele lediglich in der Hoffnung, mir selbst treu zu bleiben und zu verlieren: möge die Kugel ihr Ziel finden!“

felicitas hoppe