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Pausbäckige Zufriedenheit

 ■ S T A N D B I L D

(Zärtlich kreist die Faust, Di., ARD) Unübertroffen bleibt Marcel Reich-Ranicki. Wie er sich und seinen Geburtstag vor ein paar Tagen vom Südwestfunk feiern ließ, das wird nie wieder jemand schaffen. Es war die unüberbietbare Spitze der Peinlichkeit.

Was dem eitlen Nestor recht, ist dem ebensoeitlen Nesthäkchen billig. 45 Minuten Lutz Rathenow. Der 1952 geborene DDR-Autor stellte sich vor die Kamera und sagte auf, was er sich sorgfältig aufgeschrieben hatte. Ein rundes, rosiges Gesicht, fast überwuchert von Mähne und Bart. Kleine Augen, die versuchen, den Schalk zu verstecken. Nicht zu sehr. Der Autor weiß, daß die Leute ihn sonst nicht verstehen. Dazwischen Fahrten mit Eisen- und U-Bahn, Besuche bei Freunden, sogar eine kleine Auseinandersetzung, bei der der „Held“ den kürzeren zieht. Eine Fatzkerei, unerträglich auch sie. Nicht so wüst wie die des Literaturpapstes, aber Rathenow hat ja noch Zeit.

Seine Sprüche, seine Überlegungen sind nicht ohne. Beim Blättern in einem Buch sind sie zu genießen, ja vielleicht sogar gut. Aber im Fernsehen stört Rathenows naive Begeisterung über die eigene Vortrefflichkeit ganz erheblich.

Wenn er zwischen S-Bahn-Ansichten und Berlin-Alexanderplatz mit einem Vibrato, das für den Augenaufschlag zu Mutti („Hab'ich es nicht fein gemacht?“) steht, die Frage in den Raum stellt, „Wieviel Schuldige braucht ein Volk, um sich ehrlichen Herzens unterdrückt zu fühlen“, dann möchte man ein Bügeleisen in den Apparat schmeißen. Nein, nein. Ich finde, er hat völlig recht. Seine Kritik an der Mitläuferei, der Arschkriecherei, an der katzbuckelnden Würmerei der Bevölkerung werfe ich ihm nicht vor. Sein Satz „Die Chance zum Widerstand gab es immer“ ist möglicherweise ein wenig übertrieben, aber nicht sehr. Was stört ist der Ton. Die pausbäckige Selbstzufriedenheit, mit der das Richtige seine Richtigkeit zelebriert, ist so aus der Nähe der Fernsehkamera unerträglich. So geimpft lesen sich die Sätze auch anders. Der Beiklang übertönt die Bedeutung.

Seine skeptische Beobachtung, „Das Gedächtnis mancher Leute ist glücklicherweise so kurz, daß sie vergessen, was sie vergessen wollten. Zufällig erinnern sie sich“, gefällt mir. Aber der getragene Ton, das gespreizte Herausstellen von Bedeutung, von Wichtigkeit, kann ich nach dieser Sendung nicht mehr überhören. Da sage noch jemand, Fernsehen schade dem Lesen. Die Sendung von Hilde Bechert und Klaus Dexel war eine Lesehilfe. Vielleicht nicht im Sinne der Autoren, aber darum nicht weniger effizient.

A.W.

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