Eine Frauenoper

■ Prokofjews „Feuriger Engel“ in Amsterdam

Riccardo Chailly läßt den Geist des musikalischen Expressionismus, der Prokofjews L'ange de feu in die Spitzengruppe der Opern des 20. Jahrhunderts trieb, mit Umsicht und Engagement hervortreten. Der neue Chefdirigent des Concertgebouworkest leitet das Werk souverän, feurig in den ausladenden Orchesterteilen und dann wieder klar wie mit dem Schwert. Aber es ist zum Glück nur der Dirigentenstab, den er da überm Graben des Amsterdamer Muziektheaters schwingt, über einem der besten Orchester und vor einem hochrangigen Herrenensemble. Das gruppiert sich um Marylin Zschau, die als Renata auftrumpft, ausdrucksstark in allen Nuancen, traumwandlerisch sicher in der Wahrnehmung ihrer weiblichen Führungsrolle.

Sergej Prokofjews viertes Bühnenwerk, entstanden 1919 bis 1927, ist eine „Frauenoper“. Renata hat von Kindheit an Verbindung zum Überirdischen: ihr erscheint der feurige Engel Madiel. Nicht auszumachen, ob das eine Erscheinung des Himmels oder der Hölle ist. Die Geschichte spielt in einer Zeit, die ihre „Hexen“ verbrannte und in der religiös motivierter Wahnsinn die Weltpolitik bewegte. Renata wird, weil sie in der Gestalt des Herrn Heinrich ihren Madiel wiederzuerkennen glaubt, die Maitresse des (in der Oper unsichtbaren) Rheingrafen. In einer Schenke am Niederrhein trifft sie Ritter Rupprecht. Der war in die neue Welt gezogen, hatte sein Glück gemacht und gerät nun in den Bann der geheimnisvollen, besessenen Frau - zieht mit ihr den Rhein hinauf nach Köln, um vom Buchhändler Jakob Glock okkultistische Literatur zu erstehen, um dann in Bonn beim Gelehrten und Magier Agrippa von Nettesheim tiefer in die spirituelle Welt einzudringen und sich mit dem unschlagbaren Grafen Heinrich zu duellieren. Renata verrät und verläßt den Gefährten, der sich vom gleichfalls durchreisenden Dr. Faust (und dessen talentierten Gehilfen Mephisto) trösten läßt; die aufs Jenseits fixierte Frau aber tritt in ein Kloster ein. Mit ihr aber kommen der Geist des Widerspruchs und der Auflehnung gegen die Ordensregeln. Mit einem Inquisitionstribunal des Bischofs von Trier hat der „Spuk“ ein Ende. Eine knisternde Geschichte mit mancher Anspielung auf die große Literatur und Oper (Prokofjew hat das Libretto nach dem Anfang des Jahrhunderts erschienenen Roman von Walerij Brjussow gefertigt).

Robert Israel konzipierte mit seiner (bereits für die Genfer Oper entworfenen und nun nach Amsterdam übernommenen) Ausstattung eine Folge plausibler Bühnenbilder. Zunächst ein schiefwinkliges Zimmer, dann schräge römische Reste (Köln) und grotesken Säulenpomp (Bonn). In den weiteren Szenarien wird das Prinzip der verkanteten und verrückten Wände beibehalten, auf denen die Sudelzeichen der Magie, die Chiffren des schwarzen Wissens prangen. Das Spiel der Hände, die sich in den Türöffnungen zeigen oder aus Wandlöchern hervorragen, die mephistophelischen Schattenspiele und das Heraufsteigen der enthemmten Kräfte - das alles hat Andrei Serban minutiös inszeniert. für das chorgewaltige Finale hätte ich mir eine explosivere Lösung gewünscht.

Die fulminant zelebrierte Prokofjew-Musik übrigens wurde, wie sich heute zeigt, in ihrem Rang von Komponisten wie Strawinsky, Penderecki und selbst Philip Glass längst gewürdigt: beim Feurigen Engel haben sie alle kräftige Anleihen genommen.

Frieder Reininghaus