Kapitalistische Auswüchse in Osteuropa

In Polen gibt es wegen der Schlachtenbummler ein neues Wort: „Chuliganie“ / Weil der Rabatz so reizvoll ist, machen auch Skins mit / Phänomen in ganz Osteuropa  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Die Reisenden des Schnellzugs Gdansk-Katowice staunten nicht schlecht, als sie am Abend des 20. April müde im Warschauer Zentralbahnhof ausstiegen und sich plötzlich von einem Anti -Terrorkommando der polnischen Bereitschaftspolizei umzingelt sahen. Die Beamten waren erschienen, nachdem sie durch den Zugschaffner alarmiert worden waren. Der hatte von einer Bande angetrunkener Fußballfans erzählt, die dabei seien, seinen Zug zu demolieren und die Reisenden auszunehmen.

Es stellte sich heraus, daß die Bahnpolizei die fünf aggressivsten Fans bereits unterwegs an die frische Luft gesetzt hatte, der Rest der Schlachtenbummler war aufgrund übermäßigen Alkoholgenusses danach schlicht eingeschlafen.

„Die meisten dieser Schlachtenbummler sind einfach in einem Alter, in dem sie ausprobieren müssen, wo die Grenze ist“, findet Polizei-Major Tadeusz Gorecki, Polens einziger Fachmann zum Thema „Chuliganie“, wie Schlachtenbummelei von der polnischen Presse gerne in Anlehnung an den englischen Ausdruck „Hooligans“ genannt werden. Viele der circa 40.000 „Szaliczkowcy“, wie der polnische Ausdruck dafür lautet, kennt Gorecki persönlich. Zur Zeit schreibt er gerade an einer Doktorarbeit über sie.

Am aggressivsten verhalten sich seiner Statistik nach die Fans des Erstligaklubs „Legia Warschau“, gefolgt von „Lechia Gdansk“ und „Slask Wroclaw“. Die meisten der Szaliczkowcy, die der Polizei auffallen, sind zwischen 15 und 19 Jahre alte Berufs- oder Hauptschüler. Arbeitslose sind ganz selten darunter. In letzter Zeit beobachtet Gorecki auch, daß sich Skinheads unter die Fans mischen, „allerdings weniger mit politischen Absichten, als deshalb, weil es bei den Schlachtenbummlern die besten Möglichkeiten gibt, Rabatz zu machen“.

Wie in westlichen Ländern, so hat die Skinbewegung in Polen einen politischen Hintergrund, Skins bilden auch in Polen die brutalere Abart des rechtsradikalen Spektrums, zuletzt wurden sie von Polens rechtsradikalen Parteien beim „Kongreß der Rechten“ in Warschau als Saalwächter eingesetzt, wobei sie sich prompt eine Straßenschlacht mit Anarchisten und später auch mit heimkehrenden Fußballfans lieferten. Zwar tragen Skins auch in Polen gern Hakenkreuze zur Schau, hetzen gegen Juden und Ausländer, doch daß sie ihren Nachwuchs in den Stadien rekrutieren, ist Gorecki noch nicht aufgefallen.

Das Phänomen der „Chuliganie“ ist in Polen noch relativ neu, allerdings mit wachsender Tendenz: Höhepunkt war 1989, hier zeigt Goreckis Statistik die höchste Zahl an Vorfällen. „Das wird noch zwei, drei Jahre auf diesem Niveau bleiben, dann kommt die Welle auch zu uns“, prognostiziert er.

Bisher wurde das Thema gerne unter den Teppich gekehrt. Zwar haben praktisch alle slawischsprachigen sozialistischen Länder den Ausdruck „Chuliganie“ in seinen verschiedenen Abwandlungen in den offiziellen Wortschatz aufgenommen, doch wurde er häufig auch auf politische Demonstranten angewandt, die man damit verunglimpfen wollte. Details zum Thema echter „Chuliganie“ dagegen behielt man lieber für sich, offiziell galten solche Erscheinungen als „typische Auswüchse des Kapitalismus“.

Daß etwa bei einem UEFA-Cup-Spiel 1982 in Moskau mehrere hundert Schlachtenbummler bei Heysel-mäßigen Ausschreitungen zu Tode getrampelt worden waren, wurde erstmals 1989 von der sowjetischen Sportzeitung 'Sovjetskij Sport‘ ans Tageslicht gefördert. In China randalierten im April 1989 in Kui Jang 1.000 Schlachtenbummler, weil sie den Schiedsrichter der Schiebung verdächtigten. In Bulgarien wurden einige der schlimmsten Fanclubs 1985 aufgelöst, nachdem sich die Anhänger von TSKA und Sparta Sofia bei einem Duell der beiden Lokalrivalen Prügeleien geliefert hatten.

Hooligans gibt es inzwischen in praktisch allen Warschauer -Pakt- Ländern, Verbindungen unter den Fanclubs der einzelnen Länder scheint es allerdings nicht zu geben. Auch „Gastspiele“, die die englischer Schlachtenbummler auf dem Kontinent geben - darunter auch in Polen - finden bisher nicht statt, vor allem wegen der Devisen- und Visabarrieren. Um sich die Reise in die Bundesrepublik zur Bundesliga leisten zu können, fehlen den meisten Szaliczkowcy einfach die Mittel. Sie kommen überwiegend aus Arbeiterfamilien und sind noch dazu meist noch im Schulalter.

Gorecki nimmt seine „Kunden“ denn auch in Schutz gegen bluttriefende Presseberichte: „Bisher hatten wir nur einen Toten, der durch seine eigene Ungeschicklichkeit unter einen Zug rutschte, ansonsten gab es im letzten Jahr 69 Verletzungen zu verzeichnen, der Sachschaden beträgt etwa eine Milliarde Zloty (ca. 300.000 DM).“ Im Grunde sei das eher ein Problem für Eltern, Erzieher und Lehrer denn für die Polizei, findet Gorecki, „ganz aus der Welt schaffen läßt es sich nicht, aber wenn wir am Ball bleiben, schaffen wir es vielleicht, von Westeuropa nicht allzusehr angesteckt zu werden“.