Neo-Apartheid, war's das?

Folgt der internationalen Aufwertung de Klerks das Abdrängen des ANC?  ■ K O M M E N T A R

„Südafrika hat die Fähigkeit, zu einer der wahrhaft nicht -rassistischen Gesellschaften dieser Welt zu transformieren.“ So endet das jüngste Buch The mind of South Africa („Die geistige Verfassung Südafrikas“) des südafrikanischen Journalisten Allister Sparks. Ein hoffnungsvoll stimmender Satz. Und zweifellos steht das Land am Beginn eines bedeutenden Übergangsprozesses. Der Weg ist skizziert, doch ob die zerrissene Gesellschaft ihn betritt, scheint immer wieder aufs neue fraglich.

Ob nach der formalen Demontage die Überwindung der tagtäglichen Apartheid - also auch mit ihren sozial -psychologischen Implikationen- möglich sein wird, hängt nämlich auch und gerade von der Sensibilität der internationalen Gemeinschaft ab. Und da hat sich in den letzten Wochen die Stimmung eindeutig zuungunsten des ANC verschoben. Er hat nichts als das moralische Recht auf seiner Seite - und die bröckelnden Reste der Sanktionspolitik des Westens. Die Regierung de Klerk hingegen ist an der Macht. Und jeder Schritt, den sie zum Abbau der Apartheid unternimmt, wird ihr hoch -zu hoch? honoriert.

Als Nelson Mandela vor vier Monaten freigelassen wurde, lag dem alten Mann die Welt gerührt zu Füßen. Doch schon kurze Zeit später wurde er unter dem Signet der „Ent -Mystifizierung“ dafür kritisiert, daß er die Metzeleien in Natal nicht beenden könne und widersprüchliches Zeug von sich gebe. Moniert wird jetzt, daß er nach der angekündigten Beendigung des Ausnahmerechts weiter zur Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Südafrika aufruft.

Er weiß genau, welch schlechten Stand er auf seiner Europa -Reise haben wird. Daß es de Klerk war und nicht er, der zuerst und mit allen Ehren empfangen wurde, scheint ein Beweis mehr für die mangelnde Sensibilität einiger Länder Westeuropas. Lediglich in den USA wird Mandela der erste Gast sein.

Der ANC will die politische Gleichstellung aller, und er will ökonomische Umverteilung. Für ihn, insbesondere für seine radikalisierte jugendliche Basis, sind (Teil-) Verstaatlichungen nicht tabu, ist Sozialismus kein Schmähbegriff. Die Regierung scheint ihrerseits bereit (auch aufgrund des Drucks des internationalen Kapitals), den Markt vom Hemmschuh des Minderheitenschutzes für Weiße zu befreien. Das wären die Verhandlungspositionen. Aber Verhandlungen haben ja noch gar nicht begonnen.

In jedem Fall ist Mißtrauen gegenüber einer geschickt zweigleisigen Politik Südafrikas weiterhin angebracht. Denn nicht nur rechtsradikale Buren halten an alten überholten Feindbildern fest. Im Gegensatz zu den Lippenbekenntnissen Südafrikas stehen - wovon man sich ja überzeugen kann - nach wie vor die katastrophalen Folgen seiner Destabilisierungspolitik in den Ländern des südlichen Afrika, in Mozambik, in Angola.

Was sich in Südafrika als burischer Nationalismus entwickelte, hat europäische Wurzeln und lieh sich die letzten, perversen Versatzstücke beim Nationalsozialismus aus. Wer die langjährigen, schwierigen Verhandlungen über die Unabhängigkeit Rhodesiens/Simbabwes und jüngst auch Namibias beobachtete, weiß, daß der Fall Südafrika weitaus schwerer wiegt. Woher die Kraft und die Einsicht kommen sollen, damit die Verhandlungen so geführt werden, daß Kompromisse auch für den ANC und die schwarze Bevölkerungsmehrheit tragbar sind, ist schwer vorstellbar. Bisher ist viel zu viel die Rede von der Identitätskrise der rechten Buren.

Sollten - und alles deutet darauf hin - die EG-Länder mit der Aufhebung der Sanktionen so eindeutig Partei zugunsten der Noch-Herrschenden ergreifen, dann könnte die Zukunft Südafrikas besiegelt sein: Fortsetzung des Ewig-Gestrigen mit anderen Mitteln. Neo-Apartheid. War's das?

Andrea Seibel