Schaut (besser nicht) auf diese Stadt

Washingtons Bürgermeister steht wegen Drogenkonsum vor Gericht / Der Prozeß droht zum sozialen Rassendrama zu entarten  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Eine Stadt schaut auf ihren Bürgermeister. Washington D.C., Hauptstadt der Drogen - sei es nun Politik oder Kokain macht seinem Stadtoberhaupt den Prozeß. Marion Barry, der schillernde Chef der Metropole am Potomac, Held der Bürgerrechtsbewegung und Lebemann, schwarzes Rollenmodell und Opfer eines weißen Justizapparates, er muß sich seit Montag vor dem Distriktgericht in vierzehn Anklagepunkten des Drogenkonsums und -besitzes sowie des dreifachen Meineids verantworten.

Zwölf Juroren werden demnächst darüber entscheiden, ob Barry seine elfjährige Amtszeit im Knast beschließen wird, oder ob er im Herbst gar zum vierten Male für das mit viel Prestige und wenig Macht ausgestattete Bürgermeisteramt kandidieren kann.

Doch hier, bei der Auswahl der Juroren, beginnen schon die Probleme, droht das Verfahren gegen den angeblich koksenden Hauptstadthäuptling bereits zu einem sozialen Rassendrama zu entarten. 250 Jurykandidaten hockten zu Wochenbeginn in dem Gerichtsgebäude an der Pennsylvania Avenue, um einen 25seitigen Fragebogen zu beantworten, mit dem Anklage, Verteidigung und Richter Jackson zwölf vorurteilslosen Geschworene auswählen wollen.

Gefragt werden die potentiellen Juroren über ihre Meinung zum Alkoholismus, den Barry bereits zugegeben hat; über ihre Einstellung zu der „sting operation“, mit der FBI-Agenten Barry durch eine Exfreundin in einem Hotelzimmer zum Crack -Konsum verführt hatten; und zur Rassenfrage, die im politischen Leben der zu siebzig Prozent schwarzen US -Hauptstadt mit dem Status einer Kolonie mitten im Mutterland von großer politischer Bedeutung ist.

Im Gegensatz dazu sind Washingtons BürgerInnen nicht im US -Kongreß vertreten, während die zwei Millionen hauptsächlich weißen BewohnerInnen der umgebenden Vorstädte im Parlament repräsentiert werden. Und auch innerhalb von D.C. leben die Rassen in vielen Stadtteilen getrennt wie in einer informellen Apartheid. So hätte die Anklage gerne weiße Juroren oder Mitglieder der aufsteigenden schwarzen Mittelklasse, die sich längst von Barry distanziert haben, weil er der Stadt, in der sie es geschafft haben, und der Rasse, der sie angehören, ein schlechtes Image verleiht. Die Verteidigung will dagegen ältere Schwarze aus den Slumvierteln im Südosten der Stadt, die sich noch an Washington vor Marion Barry erinnern und die in der Anklage ihres volkstümlichen Führers eine Verschwörung des weißen Establishments vermuten.

„Die Anklage weiß“, so hatte Barry in der letzten Woche seine Hoffnung auf ein Davonkommen ausgedrückt, daß ich nur einen Juroren brauche, der sagt: “'Was immer ihr wollt, ich werde Marion Barry nicht schuldig sprechen.'“

Bis dahin oder bis zu seiner Verurteilung, die Barry theoretisch eine 26jährige Haftstrafe einbringen könnte, scheinen sich alle Kommentatoren über die Schädlichkeit des zu erwartenden juristischen Spektakels für das Ansehen US -amerikanischen Hauptstadt einig: Amerika, schau besser nicht auf diese Stadt.