Potemkinsches Dorf am Ufer der Oder

Das Petrochemische Kombinat Schwedt - eines der größten und vermeintlich wohlhabendsten DDR-Kombinate - entwickelt sich vom strukturbestimmenden Marktführer zur Abfüllstation westlicher Spraydosen und ist zufrieden damit  ■  Aus Schwedt Irina Grabowski

„PCK - ein zuverlässiger Partner mit zukunftsorientiertem Programm“ war im April 1989 die Titelzeile des auf Hochglanzpapier gedruckten Lobliedes auf das Petrolchemische Kombinat Schwedt anläßlich seines 25jährigen Bestehens. Der wichtigste Mineralölverarbeiter der DDR war mit 28,3 Mrd. DM umsatzgrößtes Kombinat des Landes. Vor allem der Stammbetrieb in Schwedt war für die SED-Regierung ein Prestigeobjekt. Weit nach dem Jahr 1945 links der Oder auf ein Stück unschuldiges Uckermark-Wiese gebaut, reicht das Werk trotz angemahnter Geruchsbelästigungen lang nicht an die ökologischen und technologischen Defekte der Vorkriegsbetriebe Sachsens heran. In Schwedt, dem Endpunkt einer 4.000 Kilometer langen Pipeline, wurde mit jährlich 17,4 Mio-Tonnen-Lieferungen die DDR-deutsch-sowjetische Freundschaft „geölt“.

Weniger produzierten mehr

Die „Schwedter Initiative“ unter der Losung „Weniger produzieren mehr“ hatte, glaubt man den Medienberichten der Vorwende, in sämtlichen Wirtschaftsbereichen einen Effektivitätsboom ausgelöst. Davon bleibt heute, angesicht drohender Pleiten und Massenentlassungen vielerorts nur makabre Zweideutigkeit. Mit der aus Erdöldestillaten erzeugten Futterhefe „Fermosin“ und der vertieften Erdölspaltung schwammen die Schwedter auf der Erfolgswelle des Zehnpunkteprogramms von Partei und Regierung „Zur ökonomischen Strategie der 80er Jahre“, denn Biotechnologie und Höherveredlung waren zwei wichtige Stichwörter. Beide Produktionsbereiche werden heute als ökonomisch „labil“ eingeschätzt.

Eine aktuelle Rentabilitätsanalyse für das gesamte Kombinat läßt den vormaligen Gewinn von 2 Mrd. Mark pro Jahr in den Minusbereich schrumpfen. Für Insider war schon vor der Wende kein Geheimnis, was der geschäftsführende Betriebsdirektor Dr. Politz nun seiner Belegschaft eröffnete. Bei dem in Größenordnung realisierten (d.h. beträchlichen) Export habe man mit einem Devisenertrag von DM zur Mark der DDR bei 1:5 Verluste gemacht. Diese Verluste wurden geplant und vom Staat gestützt, hatten also keinen Einfluß auf den Gewinn. Das Kombinat sei damit von den Weltmarktpreisen isoliert geblieben. Durch Ausbeuteverbesserungen, gesenkten Energieverbrauch und erweitertes Sortiment seien bei dieser Verfahrensweise sehr hohe Gewinne gemacht worden. Welchen Ausweg zur Marktwirtschaftsfähigkeit wird der Stammbetrieb in Schwedt finden?

Kurs Marktwirtschaft

Zunächst wurde die Umwandlung der PCK-Zweigbetriebe in Schwedt, Zeitz, Böhlen und Wittenberg in Aktiengesellschaften beantragt. Die zuständige Treuhandanstalt sah sich aus bürotechnischen Gründen nicht in der Lage, den 1. Juni als festgelegten Termin einzuhalten. Der bereits gewählte Vorstand kann seine Arbeit nicht aufnehmen. Damit sind auch die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben, die jahrzehntelange Kooperation mit der VEBA Öl AG - wie es im Februar diesen Jahres vom Ex-Kombinatsdirektor Frohn und Vorstandsvorsitzendem Dr. Hubert Heneka vereinbart hatten „in gesellschaftsrechtlicher Form zu untermauern“. Das Ziel dieser Partnerschaft, wie es der Öffentlichkeit präsentiert wird, bleibt mit Formulierungen wie „versorgungstechnischer Verbund“ und „zukunftsweisende Investitionsprojekte gemeinsam bearbeiten“ nebulös. Dem neugierig anfragenden Journalisten wird das bisherige Stiefkind als Joker angeboten: Konsumgüterproduktion.

Fünf Prozent, so wurde einst politbürokratisch beschlossen, sollte der Mindestanteil der Konsumgüter an der Kombinatsproduktion betragen. Kein Genraldirektor dem das nicht den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Dabei waren Überlegungen zugrunde gelegt worden, die einer gewissen Logik nicht entbehrten. Die Führung wußte schon damals, was das Volk braucht: den Konsum. Das dürftige Angebot etwa an Haushaltselektronik und -chemie, erheblich verursacht durch den zentralvorprogrammierten Niedergang der mittelständischen Industrie, sollte nun generalstabsmäßig angereichert werden. Die „Ausnutzung von Produktionsreserven“ zu diesem Zweck, zum Beispiel die Weiterbearbeitung von Produktionsabfällen, versprach hohen Effektivitätsgewinn. In Wirklichkeit wurde dem engen Korsett der Fünfprozentklausel oft nur durch Manipulationen entsprochen. Kabelwerker produzierten Wäschetrockner, Turbinenbauer, Rasierappararte. Der PCK-Stammbetrieb in Schwedt begann 1984 und 1985 mit der Herstellung von Leertuben und Aerosolbehältern und deren teilweisen Abfüllung. Um den labilen Konsumgüterbereich auf die nötigen Planerfüllungsprozente zu bringen, wurden mit spitzen Bleistift noch etliche Liter Benzin, das ja an den Tankstellen von Minol auch vom Konsumenten gezapft wird, zugeschlagen.

Eine Effizienzüberprüfung im Dezember 1989 ergab, daß die Sprayflaschen- und Tubenlinien nicht so schwach ist. Die Kreditbelastung von 1985, erläutert Hauptabteilungsleiter Horst Donth, sei zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen. Die Anlagenauslastung läge im Rentabilitätsbereich. Belastet würden die Erzeugnisse vor allem durch hohe Gemeinkosten, zum Beispiel die Lohnkosten der zentralen Verwaltung. Die Abspaltung der Konsumgüterproduktion von der zukünftigen „PCK Petrochemie und Kraftstoffe AG“, seit Jahresanfang diskutiert, ist nun grundsätzlich von der Betriebsleitung als „Arbeitsrichtung“ bestätigt worden. Die Emballagenfertigung, die Abfüllstrecke, eine Vertriebs-GmbH, ein Instandstandhaltungsservice und die Ventil- und Spülkopfmontage werden in Zukunft fünf selbständige Unternehmen bilden.

Fünf Arbeitsverantwortliche sind befugt, Gespräche mit den anvisierten westdeutschen Partnern über Gemeinschaftsunternehmen und Niederlassungen bis zum Vorvertrag zu führen. Natürlich, habe man schnell gemerkt, so Dohnt, daß die westdeutschen Firmen weniger an der PCK -eigenen Produktion als vielmehr daran interessiert sind, den DDR-Markt für ihre Erzeugnisse zu erschließen und die bestehenden Vertriebslinien der DDR-Betriebe für den Export in die RGW-Länder zu benutzen. Und so wird es kommen: Dem PCK darf stolz die Brust schwellen, wenn es geschafft wird zum Abfüllservice und Sprungbrett für den Ostmarkt degradiert zu werden. Keine Chance für die eigenen Produkte?

Rettungsanker UdSSR?

Salamanderschuhkrem als Gestattungsproduktion in 22 Farbnuancen mit „Wetterschutz oder Polish“ und Haushalt- und Autopflegesprays waren die Renner auf dem DDR-Markt. Ein Blick in Drogerien und Autoläden zeigt, daß dieser Markt zusammengebrochen ist. Den Schuhkremüberhang von 1,5 Mio. Tuben hat sich für 1990 die Sowjetunion - mit 12 Mio. Stück ohnehin Hauptkunde - an Land gezogen. Doch Bedenken äußerte Horst Donth schon, daß die UdSSR ihren begrenzten Devisenfonds auch weiterhin für Schuhkrem ausgeben wird. Die Aerosolbehälterstrecke war für 1990 mit 25 Mio. Stück ausgelastet. Das Aus kam, als der DDR-Bürger mit 100 DM in der Hand westlichen Düften und Reinigungsteufeln erlag.

Die Kosmetikbranche kündigte die Kaufverträge für 10 Mio. leere Spraydosen. Auch die Haushaltchemie und Autopflegemitteln aus Schwedt blieb der Binnenmarkt verschlossen. Den gesamten April über stand die Abfüllanlage still, bis Angebote westlicher Firmen zur Abfüllung ihrer Produkte kamen. Die Qualität und Aufmachung ist dabei nicht der Mangel. „Wir haben zu hohe Preise und keinen Namen, um andere Märkte zu erschließen“, schätzt Dohnt die Situation ein. Fehlende Applikationsformen nehmen der Erzeugnispalette die Breite, mit der westliche Firmen den Wünschen ihrer Kunden entsprechen. Ein Preisveränderung wurde festgelegt, „mit der die Großhändler bereit sind zu leben“, doch die Zeit langfristiger Aufträge ist vorbei. Allein der Export von Aerosolen in die RGW-Länder bleibt. Aber auch die werden nach der Währungsunion möglicherweise Markenprodukte dem PCK -Angebot vorziehen. Im Generalvertrieb westdeutscher Produkte für den Ostmarkt, der Rationalisierung und der Auslastung der Anlagen durch Fremdabfüllung sieht Dohnt die einzige Chance, „dieses Tal zu durchwandern“. Die Entwicklung eigener Produkte - 20 Kollegen seien damit beschäftigt - wolle man nicht aufgeben. Fleckentferner, Backofenreiniger und Möbelpflege in Sprayform werden vorgestellt. Und zum Schluß wünscht sich der angehende Geschäftsführer Donth, daß der „DDR-Bürger zum Zeitpunkt knappen Geldes, wenn sich die Preise dem Markt angeglichen haben, auch wieder auf PCK-Produkte zurückgreift“.