Wirbel um Dioxinfunde in Remscheid

■ Remscheider Bürger wurden über Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes nicht informiert / Dioxinverseuchung für unbedenkliche Gartennutzung zu hoch / Ministerium findet alles „sehr merkwürdig“ und verlangt Klarheit

Düsseldorf (taz) - Die neuerlichen Dioxinfunde in Remscheid haben bei Behörden und Bürgern zu Verwirrungen über den Gefährdungsgrad und mögliche Konsequenzen geführt. Bei dem Unglück am 8.12. 1988 waren sechs Remscheider Bürger und der Pilot ums Leben gekommen und mehrere Häuser zerstört worden. Wenige Monate nach dem Absturz waren bei mehreren in der Nähe der Absturzstelle lebenden Anwohnern seltsame Hautkrankheiten aufgetreten. Eine vom NRW -Gesundheitsminister in Auftrag gegebene Untersuchung befand: „Kein Zusammenhang“ zwischen dem Absturz und den Hauterkrankungen. Alle Experten hatten diese Meinung „einhellig“ vertreten. Diese Bewertung bezog sich nur auf die polychlorierten Biphenyle (PCBs). Die ebenfalls in den Gärten gefundenen Dioxinbelastungen spielten - weil gesundheitlich unbedenklich und „als für industrialisierte Gebiete typischer Wert“ - seinerzeit keine Rolle. Anlaß für Warnungen sahen die Wissenschaftler nicht. Das Berliner Bundesgesundheitsamt veröffentlicht seit Jahren „Vorsorgewerte“, die Warnungen über die landwirtschaftliche Nutzung von dioxinverseuchten Böden enthalten. Bei Verseuchungen von 5 bis 40 Nanogramm pro Kilo Boden empfielt das Berliner Amt „eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung“. Diese Warnung wurde in Remscheid erst letzte Woche bekannt, nachdem in einer Kleingartenanlage in 500 m Nähe der Absturzstelle Dioxinbelastungen von 20,3 und 15,1 Nanogramm pro Kilo gemessen worden waren. Daraufhin empfahl die Stadtverwaltung den Anbau und den Verzehr von Gemüse auf dem Gelände künftig zu meiden. Erst jetzt wurden auch die Anwohner an der Absturzstelle, deren Gärten vergleichbare Belastungen aufwiesen, gewarnt. Im Düsseldorfer Gesundheitministerium wußte man nach Darstellung des Pressesprechers nichts von den Berliner „Vorsorgewerten“. Daß auch die geladenen Dioxinexperten auf die Warnungen nicht hingewiesen haben, findet der Sprecher „sehr merkwürdig“. Zur Klärung will man die Expertenrunde jetzt neu zusammenrufen. E. Ballfannz von der „Gesellschaft für Arbeitsplatz- und Umweltanalytik“ sagte der taz, daß bei ihnen die Warnungen des Bundesgesundheitsamtes nicht bekannt gewesen seien: „Wir sind nicht allwissend.“ Eine Gesundheitsgefährdung sei durch die gemessenen Werte, so Dr. Rotard zur taz, aber „völlig ausgeschlossen“. Ein Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz schloß Rotard aus. Eine solche Behauptung sei „Unsinn“.

Walter Jakobs