Saubermann Diestel der Lüge überführt

■ Innenminister ließ versiegelte Stasi-Unterlagen über Volkskammerabgeordnete brechen / Vor dem Parlament bestritt er das illegale Vorgehen / Seine Mitarbeiter vom staatlichen Stasi-Komitee bestätigen jetzt die Schnüffelei / Die Akten lagern in Erfurt

Berlin (taz) - Innenminister Peter-Michael Diestel weiß, was andere nicht wissen: In der Erfurter Bezirksverwaltung lagert Stasi-Material über drei Abgeordnete der Volkskammer. Das Wissen darum hat sich der DSU-Politiker illegal über das staatliche Komitee zur Auflösung des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erworben - und in der Volkskammer hat Diestel am Donnerstag vergangener letzter Woche dies wiederum auf Nachfragen schlicht bestritten.

„Gestatten sie uns, rechtsstaatliche Maßstäbe anzuwenden“, sagte der DSU-Mann am 16.Mai vor versammelter Presse in Berlin, als er den weiteren Gang seiner Behörde zur endgültigen Auflösung des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vorstellte. Hätte er sich diesen Maßstab mal nur zu eigen gemacht. Auf der gleichen Pressekonferenz wurde Minsiter Diestel nämlich gefragt, wie er mit den Informationen des Mitglieds des Erfurter Bürgerkomitees Mathias Büchner umzugehen gedenke, der ihm am 9.Mai im DDR-Fernsehen ein Merkblatt überreichte. Büchner teilte dem Minister darauf die Namen mehrerer Volkskammermitglieder mit, die eine Stasi-Vergangenheit besitzen sollten. Diestels vollmundige Antwort: „Ich kann diese Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes nicht überprüfen.“ Ein solches Verfahren lehne er ab, derartige Zettel werde er kategorisch „ignorieren“.

Dem war aber nicht so. Schon am Tag zuvor hatte der Minister den Leiter des staatlichen Komitees, Günther Eichhorn, angewiesen, Büchners Informationen im Archiv der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße zu überprüfen. Die drei Regierungsbeauftragten Fischer, Böhm und Peter hätten diesem Anliegen entsprechend dem Ministerratsbeschluß „13/4/90“ schriftlich einwilligen müssen - sie wurden nicht einmal gefragt. Grundlagen seiner Amtsführung hatte der DSU-Mann bereits am 17.April klargelegt: Bei einer Sitzung mit den Bürgerkomitees gab der Minister bekannt, daß fortan die Weisungen von ihm kämen und daß das staatliche Auflösungskomitee nur ihm unterstehe.

Beim Gang ins Archiv war das Bürgerkomitee - obwohl dessen Anwesenheit Pflicht ist - auch nicht dabei. Weil keiner der zuständigen ehrenamtlichen Stasi-Auflöser telefonisch zu erreichen gewesen sei, wurden die Siegel des Komitees ohne ihr Beisein kurzerhand gebrochen. Zeitdruck hätte geherrscht, rechtfertigte sich der stellvertretende Komiteeleiter Eichler später, da der Minister eine Antwort bis spätestens 13.30Uhr angemahnt habe. Offiziell hieß es, anhand der Unterlagen über Verstorbene solle recherchiert werden, wieviele Verweise auf andere „Quellen“ in einer einzigen Personalakte zu finden seien. Selbst dies wurde nicht gemacht. Weil man dazu auf Unterlagen der 50er und 60er Jahre hätte zurückgreifen müssen, wurden „anhand der im Endarchiv Normannstraße vorhandenen Dateien eine Recherche zu lebenden Personen durchgeführt“, empörten sich die Mitarbeiter des Bürgerkomitees.

Der Wunsch des Ministers nach Informationen über die Volkskammerabgeordneten wurde bei dieser Gelegenheit gleich miterledigt. Büchners Zettel enthielt die Namen dreier Abgeordneter und als Hinweis zehn Registiernummern des MfS. Die Mitarbeiter des staatlichen Komitees wurden damit auch fündig: In der Kartei fanden sich Hinweise, daß die entsprechende Vorgänge über die Betroffenen in der Erfurter Bezirksverwaltung zu finden sind.

Selbst im staatlichen Komitee war diese Recherche höchst umstritten. Eichhorn und Eichler hätten Diestel auf die gesetzlichen Bestimmungen aufmerksam machen und eine Einsichtnahme in die Kartei verhindern müssen, erklärte Eichhorns erster Stellvertreter Schmutzler. Dem rangniedrigeren Eichler erteilte er anschließend einen Verweis. Den eigenen Chef konnte er dagegen schlecht abmahnen.

Diestels Einsicht in die Stasi-Bestände wurden am Mittwoch vor dem Innenausschuß der Volkskammer durch die Aussagen des Komiteeleiters Eichhorns und die seines Stellvertretes Eichler im wesentlichen bestätigt. Der Minister selbst ließ sich entschuldigen. Er hatte Termin bei einer Sitzung der Ministerrates. Ein Staatssektetär, der ihn dort hätte vertreten können, sei nicht greifbar gewesen. Zur kommenden Sitzung des Ausschusses wird Diestel nun erneut geladen.

Wolfgang Gast