Gorbatschow und de Maiziere im Zwist

■ Zeitgleich tagen Warschauer Pakt in Moskau und Nato in Schottland / Gorbatschow schlägt vor, ein vereintes Deutschland solle assoziiertes Mitglied in beiden Bündnissystemen werden, de Maiziere will Gesamtdeutschland als Mitglied einer „gründlich reformierten Nato“

Moskau, Turnberry (ap/dpa/taz) - Die einen tagen in Moskau, die anderen in einem Nest in Schottland. Und dazwischen liegt Deutschland. Die deutsche Frage stand im Mittelpunkt der zeitgleichen Treffen der Militärbündnisse Ost wie West. Die sieben Staaten des Warschauer Paktes bekräftigten auf ihrer gestrigen Tagung in Moskau, daß sie keine Auflösung ihres Bündnisses wollten, sondern eine Transformation ihres bisher militärischen Bündnisses in eine „temporäre Organisation“, die später in einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur aufgehen solle. In seiner Eröffnungsrede sprach der sowjetische Präsident Gorbatschow vom Warschauer Pakt als einem politischen Faktor, der das Gleichgewicht in Europa fördere. Und zu Deutschland: Beide Teile hätten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewiesen, daß sie für die Verantwortung reif seien, die sie in der europäischen und der Weltpolitik tragen. Die Verpflichtungen beider Staaten gegenüber beiden Militärbündnissen könnten nach seiner Ansicht am besten dadurch eingehalten werden, daß das künftige vereinigte Deutschland assoziiertes Mitglied in Nato und Warschauer Pakt werde.

DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere sprach sich für eine „gründlich reformierte Nato aus“. Sie müsse auf ihre bisherige Strategie der flexiblen Antwort und der Vorneverteidigung grundsätzlich verzichten. Einer so deutlich geänderten Nato könne das vereinte Deutschland mit einem militärischen Sonderstatus des heutigen DDR -Territoriums in einer Übergangszeit angehören.

Die Nato hatte zum Auftakt der Außenministertagung in Turnberry die Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der westlichen Allianz als einzige Möglichkeit genannt, die Stabilität in Europa zu gewährleisten. Der britische Gastgeber Hurd bekräftigte, daß die Nato ihre „militärische und atomare Strategie“ der Entwicklung in Europa „anpassen“ müsse, was aber heiße, daß man auch weiterhin eine „vernünftige Mischung nuklearer und konventioneller Streitkräfte in Europa“ brauche. Diesen Standpunkt wird Staatschefin Thatcher bei ihrem heutigen Besuch in Moskau sicherlich vorneverteidigen.

Bundesaußenminister Genscher betonte in Turnberry nochmals, was mittlerweile auch in der Nato Allgemeinplatz ist. Moskau müsse in künftige Entscheidungen zur Entwicklung in Europa wie der Welt einbezogen werden. Die Nato sei entschlossen, ihre „neue Rolle“ wahrzunehmen und habe eine positive Grundhaltung zu Ausbau und Institutionalisierung des KSZE -Prozesses zum Ausdruck gebracht.

Der weiterentwickelte KSZE-Prozeß, die Neugestaltung des Verhältnisses von Nato und Warschauer Pakt zueinander, die konventionelle Abrüstung (VKSE) sowie die verbindliche Festschreibung der polnischen Westgrenze seien der äußere Rahmen einer deutschen Vereinigung.

Der Tagungsort der 16 Mitglieder des Nato-Rates in Turnberry ist bei näherer Betrachtung interessant. Ganz in der Nähe von Turnberry liegt Schloß Culzean, wo US-General Dwight D. Eisenhower die Invasion gegen Hitlers Drittes Reich vorbereitete - den D-Day.

AS