Es waren einmal zwei Freunde,...

■ ...die trennte der Sozialismus, aber nun lesen Loest und Zwerenz wieder zusammen

Beide lesen aus ihren Autobiographien. Der eine beginnt mit einer Passage, die sie beide als Verschwörer zur Herbeiführung eines menschlich reformierten Sozialismus zeigt, 1956 in Leipzig, wo sie nach dem 20. Parteitag, Chruschtschow im Rücken, den spitzbärtigen Stalin -Statthalter in der DDR wegtauen wollten, sich nachts die Köpfe heiß redeten und tags die Finger wund schrieben. Als des Bartes Statthalter das spitz kriegten und zur schauprozessualen Säuberung ansetzten, floh der eine in den Westen, der

andere ging für „konterrevolu tionäre Gruppenbildung“ für siebeneinhalb Jahre nach Bautzen, die Frau, die zwei kleine Kinder hätte versorgen müssen, gleich paar Monate mit.

Der andere beginnt nicht mit sozialistischer Hoffnung und Beugung, sondern mit dem Ich seiner Kindheit, das er verloren hat und wiederfinden wollte: Leipzig im Jahre 1952, als er vor die „theatralische jüdische, ach was, israelische Gesichtslandschaft“ trat, die dem Ex-Exilanten Ernst Bloch gehörte. Der

sollte dem ehemaligen Pimpfen, jungen Wehrmachtsdeserteur, Kämpfer der Roten Armee und jetzt Dozenten in Zwickau, der wieder Student werden wollte, dabei helfen. Bloch, Lehrer „für Ästhetik und Optimismus“, war dazu in seinem Fortschrittsglauben eigentlich der falsche. „Wir einigten uns auf das Abenteuer.“

Der eine liest nüchtern, prisenweis ironisch, dokumentiert Zeitgeschichte als persönliche. Der andere individualphilosophiert, tiradiert, kritisiert das Schöne mit Worten in schönen Worten, mit Stimm-Magie. Das Wort MuRRen sagt er wie der jüdische Theatraliker, bei dem er's lernte, mit dem Zungen-R, in dem sich subterrestrisch Katastrophales ankündigt. Der eine schreibt an Dingen und Ereignissen entlang, der andere spielt auf dem Flügel der Bilder und Bögen.

Der eine, Erich Loest, schreibt seit 1981 im Westen wie sich seine große Hoffnung in große Drangsal verwandelt hat. Der andere, Gerhard Zwerenz, seit mehr als 30 Jahren hier, siehe oben, schreibt überallhin Schweinsames und Dickschädeliges.

Loest hat sich, westfernsehbegleitet, mit Frau und Sohn seine Knastzelle noch mal angesehen. Er liest davon. Er hat das Hundegebell der vereinsamten Schäferhunde in den Höfen von Bautzen wieder gehört. Sein Sohn sagt, daß kein Hund gebellt hat. Er aber wird es noch lange hören. Aber: „Ich komme gar nicht raus davon“, sagt er, und daß er sich in zwei Wochen in Leipzig seine Stasi-Akten ansehen wird. Und daß er mit seinem Sohn in Leizig einen Verlag gegründet und fünf schöne Bücher rausgegeben hat im letzten halben Jahr, in dem die noch amtierenden SED-Verlagsfürsten sich aufs Bremsen und viele DDR-Autoren aufs Jammern verlegt haben.

Der andere, Zwerenz, hat 32 Lebensjahre politische Schwie

rigkeiten gehabt und danach 32 Jahre non-stop geschrieben und sich immer gefreut, daß er mal die Rente kriegt, für die er die kleinen Marken geklebt hat. Die kriegt er seit drei Tagen und will nicht mehr schreiben. Alle glauben das nicht, das Publikum im Domkapitalsaal lacht auch wie vorgesehen, aber: „Nun reden Sie mir das doch nicht aus.“

Sie sitzen nebeneinander, jeder mit seinem Buch, von dem FETT der Autorenname leuchtet, darunter steht bei Zwerenz „Vergiß die Träume Deiner Jugend nicht„, bei Loest „Durch die Erde ein Riß„. aber immer noch sieht das Karo von Zwerenz‘ Hemd arbeiter- und bauernkariert und das von Loest wie Nyltest aus. Und die Schuhe, Zwerenz‘ dunkelweiße, erst recht Loests graue, beide zum Reinschlupfen, das ist immer noch Leipzig anno Ulbricht, wie machen sie das nur? Sie wollen öfter miteinander lesen, haben sie 1988 in Bonn beschlossen. Und Zwerenz schließt seine Lesung mit den Sätzen: „Die Staaten kommen und gehen. Was einzig zählt, ist Freundschaft.“ Und es ist wie jeder echte Kitsch sehr rührend und ziemlich glaubhaft und wunderschön.

Uta Stolle