Schulen für das Leben eines ganzen Stadtteils

■ Gesamtschulidee: Vom offenen Frühstücksangebot über integrativen Projektunterricht bis zu Abendveranstaltungen für Erwachsene

Das Interesse an Gesamtschulen erlebt zur Zeit in Bremen einen Boom: Bei Eltern und LehrerInnen regt sich nun wieder Lust am Experimentieren. Deutlichster Ausdruck dafür war in Bremen die Gründung der Gesamtschule Mitte - die Integration der drei Schultypen, allerdings in einem kleinen, überschaubaren Rahmen und mit starkem Bezug zum umliegenden „Viertel“.

Die Idee solcher „Stadtteilschulen“, die auch am Nachmittag und Abend interessante Angebote zu bieten haben und das Lernen immer mehr aus den Klassenräumen in Projekte und Wohngebiete hinein verlagern, findet derzeit viele Liebhaber. Sieben der insgesamt 41 Schulzentren für den Sekundarbereich I (7.-10. Klasse) im Land Bremen sind bereits auf den Weg in Richtung „Stadtteilschule“ gegangen ganz ohne behördliche Weisung und Mittel. Einige davon stellten sich gestern auf Einladung des grünen Bildungspolitikers Hans-Joachim Sygusch der Presse vor.

Zum Beispiel das Huchtinger Schulzentrum an der Hermannsburg. Schon heute finden wöchentlich 130 Unterrichtsstunden in „Wahlpflichtfächern“ und 38 Arbeitsgemeinschaften nachmittags auf dem Schulgelände statt. Die Klassen der Orientierungsstufe (5. und 6. Klasse) sollen

künftig bis zur 10. Klasse zusammenbleiben. Nur in einzelnen Fächern soll es nach Leistung differenzierte Kurse geben. „Schrittweise entsteht dabei eine 30klassige Gesamtschule“, sagt der Schulleiter Rolf Berger.

Zur weiteren Öffnung der Schule in den Stadtteil hinein soll es einen „offenen Unterrichtsanfang mit Betreuung und Frühstücksangeboten“, Hausaufgabenhilfe, Betreuung auch für „Nichtschüler“ und Ehemalige, die Einrichtung eines Mittagstisches und auch Abendveranstaltungen für Erwachsene geben. „Bisher ist Huchting ja nur eine Schlafstadt“, begründet Berger die notwendige Öffnung der Schule.

Am Hemelinger Schulzentrum Drebberstraße läuft bereits seit eineinhalb Jahren das Projekt „Haus“, das aus je einer Klasse der Bereiche Hauptschule, Realschule und Gymnasium besteht. Projekte, Klassenfahrten, Sport, Kunst und einige weitere Fächer werden gemeinsam unterrichtet und das Schuljahr von den drei KlassenlehrerInnen zusammen geplant. In dem neuen Fach „Kulturkunde“ wurde zum Beispiel in diesem Schuljahr ein Projekt „Türkei“ durchgeführt. Am Schluß stand ein großes Fest, zu dem auch die deutschen und ausländischen Eltern eingeladen wurden.

„Ausgangspunkt war an unserer Schule die Unzufriedenheit der Lehrer und Lehrerinnen“, erinnert sich Margarete Agather -Rößler, die als Vertreterin der „Haus„-Idee jetzt auch in die Schulleitung gewählt wurde. Vor allem ausländische SchülerInnen hatten immer häufiger den Wunsch geäußert, auch Nachmittags in die Schule kommen zu können. Eine sozialpädagogische Betreuung verschiedener Gruppen ging aber zu Ende, als sich der Personalrat weigerte, neuen ABM -Stellen dafür zuzustimmen.

„Stadtteilschulen gibt es nicht umsonst“, weiß auch die Elternvertreterin der Gesamtschule

Mitte, Karin Krusche-Thor mann. Trotzdem werden an vielen Stellen die Experimente erstmal begonnen, um dann mit konkreten Ergebnissen auch eine bessere finanzielle Ausstattung von der Schulbehörde zu fordern. So beanspruchen LehrerInnen nach der ersten Aufbauphase Freistunden für die Projektplanung, für die Angebote am Nachmittag und Abend werden zusätzliche SozialpädagogInnen benötigt, und auch Räume und Lernmittel müssen den neuen Anforderungen einer Stadtteilschule entsprechen. „Unser Projekt 'Haus‘ funktioniert natürlich nicht mit Klassen von 25 Schülern“, weiß Agather-Rößler, „denn dann würden wir

bei einer Exkursion mit 75 Schülern auftauchen.“ Mit jetzt 54 Schülern pro „Haus“ sei die Idee schon an ihre obere Grenze gestoßen. Eineinhalb Jahre hat es zum Beispiel in der Gesamtschule Mitte gedauert, bis die Behörde bereit war, einen Zuschuß zum Mittagessen zu zahlen, das zweimal in der Woche stattfindet und „zum pädagogischen Konzept gehört“, wie Krusche-Thormann sagt.

„Es gibt einen großen Widerspruch zwischen den Aussagen des neuen Bildungssenator Scherf und der repressiven Praxis großer Teile seiner Behörde“, meint auch Hans-Joachim Sygusch. Denn während die LehrerIn nen-Initiativen für „Stadtteil schulen“ begrüßt werden, sei die Behörde nicht bereit, Mehrkosten zu übernehmen.

Und an der Gesamtschule Ost wurde den LehrerInnen sogar per Dienstanweisung untersagt, ihren SchülerInnen der 5. Klassen einen Brief mit nach Hause zu geben, in dem die Eltern darauf hingewiesen werden, daß zur Zeit von den 180 Bewerbungen für die Gesamtschule Ost nur 108 berücksichtigt werden könnten und daß die LehrerInnen deshalb eine weitere Gesamtschule im Bremer Osten fordern.

Dirk Asendorpf

Diskussion „mehr Gesamtschulen“

am Dienstag, 12.6., 20 Uhr, in der Grundschule Lessingstraße.