FLEISCHFRESSENDE NELKEN

■ Kolumbianischer Dokumentarfilm über Blumenzucht im K.O.B. & PA 58

Zu fünft, mit etwas Grün in der Vase, sind sie ein stets zu erneuerndes Symbol deutscher Wohnkultur: Nelken. Beliebt, weil haltbar und neutral (im Sinne der Mitteilung, sofern es sich um ein Geschenk handelt). Und trotzdem wird man sich ekeln, ihre knotigen, weiß-gesprengelten Stiele anzufassen, nachdem man „Liebe, Frauen und Blumen“ von Marta Rodgriguez und Jorge Silva gesehen hat.

Der Film dreht sich um das Verbrechen in den Blumenfeldern Kolumbiens, zu dem die Allergien und Hautausschläge westdeutscher Floristinnen als eine überdeutliche Spur zu deuten sind. Doch vielleicht, weil es in den ländlichen Gegenden um Bogota nicht so herrlich-aufregende Schießereien wie im Kokain-Milieu zu filmen gibt, verfolgte bislang kaum ein westlicher Journalist die suspekte Herkunft der beliebten Luxusware.

Die Filmemacherin Marta Rodgriguez begegnete in einer psychiatrischen Anstalt einer schwerkranken Frau, die bei „Bogota Flowers“ gearbeitet hatte. Zusammen mit Jorge Silva recherchierte sie die Krankengeschichte und entdeckte, wie in den Plantagen systematisch Menschen, vor allem Frauen, für die Schönheit und Haltbarkeit der in Europa und Nordamerika vertriebenen Schnittblumen geopfert werden. Rund 60.000 Menschen arbeiten in den kolumbianischen Großgärtnereien, zu 80 Prozent Frauen.

Sinkende Luftfrachtpreise und steigende Heizkosten haben dazu geführt, daß die Produktionsstätten der Blumenindustrie vor allem nach der Ölkrise in „Dritte-Welt-Länder“ verlagert wurden, die geringen Lohnkosten waren und sind ein zusätzlicher Anreiz. Was diesem altbekannten Ausbeutungsschema im Flora-Business eine zusätzliche Brutalität verleiht, ist der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Rodgriguez und Silva zeigen in ihrem Film, daß weit weg vom Geltungsbereich bundesdeutscher Spritz- und Düngemittelvorschriften Hoechst, Bayer und Schering immer noch gewinnbringend solche Gifte absetzen, die bei uns längst verboten oder nur in weitaus geringeren Dosierungen zugelassen sind. In Kolumbien (und nicht nur da!) werden sie der besseren Haltbarkeit, Farb- und Blühintensität wegen angewendet. Dabei werden oft nicht einmal die einfachsten Schutzmaßnahmen beachtet: weil Zeitdruck (Frische!) zum Geschäft gehört, wird gespritzt, auch wenn die Frauen noch bei der Ernte oder beim Einpflanzen der Stecklinge sind. Die Folgen sind Leukämie, Epilepsie, Blindheit, Asthma, Fehlgeburten. Und eine vollständige Zerstörung weiter Teile des kolumbianischen Bodens.

Vielleicht sind es weniger diese Informationen, die den Film so schockierend machen, als die Interviews, die die Spielregeln der zugrundeliegenden Rechnung aufdecken. Das Wohlbefinden, die Gesundheit, das Leben der Frauen, die in den Nelkenfeldern arbeiten, wird mit Null veranschlagt. Und zwar nicht nur von Konzernen und korrupten Politikern. Aus Resignation scheinen sich z.B. auch die ortsansässigen Ärzte mit der Situation arrangiert zu haben. Einer, so wird berichtet, habe einem gesunden Mann von der Heirat mit Gabriela abgeraten, weil sie in den Blumenfeldern arbeitet und schon vor der Ehe krank geworden war. An Kinder sei da wohl nicht zu denken. Als der Mann sich trotzdem für Gabriela entscheidet, sagt der Arzt, er solle aber nicht in sechs Monaten wiederkommen und sich beschweren... Der Film schließt mit einem Streik, der mit einem Gaseinsatz und Entlassungsandrohungen nach 55 Tagen ohne große Aussichten auf Verbesserungen beendet wird. Man wünscht sich, etwas mehr an die optimistischen Parolen („Das war erst der Anfang!“) glauben zu können.

Leider läßt sich in der deutschen Bearbeitung des Films nur mehr erahnen, mit welcher anklagenden Schärfe die kolumbianischen Frauen inmitten teuflisch-hübscher Katalogansichten ihre Situation schildern - „hinter jeder Blume steckt der Tod“. Es wirkt penetrant und widerlich, solche Sätze von einer verhauchten Märchentanten-Stimme oder einem passend-sonoren Onkel übersetzt zu bekommen. Zum Glück gelingt es den deutschen Sprechern nicht ganz, die Atmosphäre zu zerstören, für die die Dokumentarfilme von Rodgriguez und Silva seit den sechziger Jahren berühmt sind: für eine vertraute, solidarische Nähe zu den Interviewpartnern.

Es gibt nicht nur in Kolumbien viele, die ein Interesse daran haben, daß dieser Film nicht gezeigt wird. Für das K.O.B.-Kino und die PA 58 Grund genug, das Programm mit ein paar zusätzlichen Informationen zu präsentieren.

Dorothee Wenner

Am 10.6. um 21 Uhr im K.O.B.-Kino, am 12.6. um 21 Uhr in der PA 58 (Prinzenallee 58).